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erfunden, oft vergessen wurden, um wieder anderen Platz zu machen,
entzieht sich jeder annähernden Beurtheilung. Wer zählt z. B. alle
jene Vorrichtungen, welche in der Posamenterie ersonnen und ange
wendet werden, um allen den da vorkommenden Aufgaben gerecht
zu werden?
Das Bild, welches uns vergangene Decennien von unserem Indu
strie-Zweige bieten, ist sonach ein höchst erfreuliches. Oesterreichs
Industrie deckte nicht nur den eigenen Markt, sondern entwickelte
auch ein nicht unbedeutendes Export-Geschäft nach den südöstlichen
Grenzländern, nach Bussland über Galizien und nach Baiern. Mit
Stolz kann man es sagen, dass es keinen Artikel in dieser Branche
gab, der nicht zu Wien erzeugt werden konnte und auch wurde*).
Wien blieb der Mittelpunct der österreichischen Seiden-Weberei und
obschon sich zu Prag, Pest, Görz u. s. w. ganz tüchtige Seidenzeug-
und Band-Fabriken etablirten, so blieben diess doch nur vereinzelte
Unternehmungen und ist hier nur, als am relativ bedeutendsten unter
den alten Erbländern des Kaiserstaates Tirol zu nennen, in welchem
*) Das im Jahre 1832 zu Wien erschienene Werk: „Die Vorrichtungs-
Kunst der Werkstühle“ von Johann Georg Bartsch, ist ein sprechender
Beweis hiefür. Die Herausgabe dieses Werkes wurde nur durch die sub
scriptionsweise Betheiligung der hervorragenderen Firmen ermöglicht und
dürfte es eines der ersten in so umfassender Form erschienenen Handbücher
der Weberei sein. Dem Werke ist ein Atlas von Stoffmustern beigegeben,
welche durchwegs heimisches Erzeugniss, die Vielseitigkeit unserer Industrie
documentiren und von denen einzelne bis zu Anfang dieses Jahrhunderts
zurückreichen.
Die Sammlungen des polytechnischen Institutes zu Wien repräsentiren
in tausenden vonTafeln die Erzeugnisse der österreichischen Webe-Industrie
von den Jahren 1819 — 1846. Ohne dass jene Sammlungen ein vollständiges
Bild der betreffenden Industrie geben, zeigen sie doch die Gediegenheit der
damaligen Leistungen in Seiden- und Halbseidenwaaren, Bändern und
Posamenterien als auch die Entwickelung der Färberei, Druckerei und
Appretur. DieNamenHornbostel, Griller, Rüdelmann, Beywinkler, Leemann,
Festi, Fürgantner, Haas, Braytzner, Moering, Messat & Wallner, Harpke,
Löbl, Moschigg und viele andere repräsentiren ein Ensemble von Leistungs
fähigkeit, das mit jeder andern gleichzeitigen Gruppe der fortgeschrittensten
Industriellen rivalisiren konnte.
Die Chenille ist in jenen Sammlungen nicht vertreten, obschon sie
eigentlich österreichisches Landeskind ist. Ihr Erfinder ging zu Ende des
vorigen Jahrhunderts nach Frankreich, wo sie erst Namen und Anwert
fand. In letzterer Zeit blieb es Wien Vorbehalten, dem Chenillen-Artikel im
Wege der Verarbeitung zu Tüchern u. s. w. ungeahnte Bedeutung gegeben
zu haben. Als einer der ersten Fabrikanten, die sich damit beschäftigten, ist
F. Siebert zu nennen.
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