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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

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HUS HLT-KRHKRU 
VON RRCHITEKT FR. MHCZYNSKI 
I. 
K rakau ift ein großes gemauertes Kunftwerk Es haben iieb 
Gefdiicbtsforfcber, Hrcbäologen und Künftler mit diefer 
Stadt befchäftigt, es befebäftigen ficb Vereine, die zu diefem 
Zwecke begründet wurden, und dennoch geht fllhKrakau dem 
Untergange entgegen. Es verfchwindet allmählich in architek= 
tonifchen Einzelheiten, wie in Portalen und Toren, es verfchwindet 
rafch in ganzen Komplexen beim Umbau alter Käufer oder beim 
Bau neuer an Stelle der alten demolierten. Dies gefchieht fogar 
unter dem Scbutje des Gefetjes. _ c . _ 
Hls Kunftwerk bildet Krakau, ich fpreche von der inneren Stadt, 
ein in fich gefchloffenes, architektonifches Ganzes. Es ift auch in 
der Tat ein Kunftwerk und entfpricht allen in diefer Beziehung 
geftellten Bedingungen. Hls Häuferkomplex hat die innere Stadt 
troh der Mannigfaltigkeit der Stilformen ihren ganz befonderen 
Stil ihre eigene Harmonie, ihren eigenen Husdruck. Emge- 
fcbloffen von den erhaltenen Überreften der alten Feftungsmauern, 
ift fie mit ihrem zentral gelegenen Hauptpla^e und dem von 
demfelben ausgehenden Straßenne^e ein faft einzig daftehendes, 
gefchichtlich unvergleichliches Beifpiel. Das Verhältnis der eim 
zelnen Bauwerke zu den freien Plänen, den Käufern, zu der 
Breite der Gaffen und deren Richtung ift ein fo eigentümliches 
und zugleich belehrendes, daß es den modernen Baumeifter auf 
Schritt und Tritt in Verwunderung fe^t - und dennoch gebt das 
Ktakau dem Untergänge entgegen. Unter dielen, Emdruck 
ftebend, möchte ich nun den Standpunkt des modernen Bau= 
meifters einnebmen. Diefer Standpunkt ift vielleicht mit bezug 
auf die Stadt, die mit der Moderne am wenigften gemein bat 
ein febeinbar eigentümlicher, dennoch laßt er fich genügend 
rechtfertigen, und zwar: Will der heutige Baumeifter die Phyfio^ 
gnomie einer alten Stadt in eine ganz neue umwandeln, fo dar 
er dies nicht allzu forgenlos tun; er muß reiflich überlegen muß 
alles, was er niederreißen will, zufammenftellen und mit dem 
vergleichen, was anstelle des »Untergehenden« oder Demolierten 
errichtet werden foll. Diefer Punkt allein motiviert meinen Stande 
punkt zur Genüge; es gibt aber auch andere Grün e, we e au^ 
dem folgenden erhellen. 
Die Unterfucbung einiger Überrefte von arcbitektomfcben Frag* 
menten ergibt klar und beftimmt gewiffe Kompofitionsgefe^e, 
die früher in Hnwendung waren, feitber aber vergeffen wur en 
fie kann jedoch auch neue aufdecken, die beute angewen e wer e^ 
können und follen. , ., , „ 
In feinen Käufern aus verfebiedenen Epochen und mit den 
verfchiedenften Hbftufungen des Stils gibt FUhKrakau das vor 
trefflichfte Beifpiel einer guten Verteilung der Proportion u 
Silhouetten. Dazu trägt ein überaus fchönes Gemifcb von groß 
Oberflächen an Käufern bei, die einen palaftartigen Cbara 
tragen, und den ficb dicht aneinanderreihenden zweifenftngen 
Faffaden der bürgerlichen Käufer. 
Sehr mannigfaltig ift der Hbfchluß der Käufer nach obenbin, 
das eine Mal mit einem ftark hervorftebenden krönenden Gefimfe, 
das andere Mal wieder mit einer einfachen Rttika oder mit 
zierlichen Windungen anderer Formen. 
Die Eckbäufer zeigen eine feböne Silhouette ihrer oft gebroche 
nen Dächer,mit Scbornfteinen, Dachfenftern, Vafen, und imponieren 
als Ganzes durch einen gewaltigen Eindruck, wobei fie mit ihren 
Strebemauern leicht und febön in die Höbe wachten. Die Gaffen 
zeigen immer einen in feinen pbantaftifeben Linien eigenartigen 
Hbfchluß, - fei es durch die Seitenwand einer Kirche oder durch 
Dächer mit kleinen Türmchen oder durch die fcbrägverlaufende 
Häuferlinie einer Ouergaffe. Dies eben kennt nicht und verkennt 
die moderne Architektur gänzlich; heute muß beim Entwurf 
weiter Perfpektiven immer jene meiftens ideale Lime beruck- 
fichtigt werden, welche gewöhnlich die Achte des Grundriffes 
oder der Anficht ift. Ich betone diefen Mangel einer Adife an 
Straßenperfpektiven der inneren Stadt, denn außer zwei find alle 
anderen Straßen frei abgefcbloffen. , 
Diefer freie Abfcbluß im Hintergründe der Straßen bildet 
eine fchiefe Ebene, die gleicbfam die fich weiterziehende Rich 
tung derfelben Straße anzeigt. D 
Er ift der Ausdruck einer gewiffen natürlichen Logik, welche 
zu tagen febeint, daß es offenbar fo bat fein müffen, daß es 
anders nicht bat fein können, überdies fleckt in den Propor 
tionen eines folcben, meiftens von Kirchen gebildeten Abfcbluffes 
in feiner über die gewöhnliche Linie der Käufer binausgebenden 
Höbe ein eigenartiger Reiz und eine Fülle von Poefie, daß man 
anderswo nichts ähnliches bewundern kann. Schon die allg - 
meine Betrachtung der Straßenperfpektiven der inneren Stadt 
Gibt Gelegenheit zur Entdeckung gewiffer Grundregeln der 
architektonifchen Kompofition, wobei ich nicht diefes oder lenes 
Kompofitionsgefet} meine, fondern einzig und a 11 ^ das Strebe 
nach einer einzig möglichen, endgültigen, unerfchopflicben Lo 
tung der jeweiligen architektonifchen Aufgabe darunter verftebe. 
Eine folcbe Lötung exiftiert in der Architektur fie allc ‘ n be 
richtig und entfpringt fowohl aus dem Grundriß, a,s a ^ au , 
der endgültigen äußeren Form. Wie in jeder Kunft fo ift auch 
in der Architektur die äußere Form der Ausdrude des inneren 
Gedankens. Eine folcbe Form muß, wenn fie gut fein toll, echt 
fein. Die Kraft diefer Echtheit regelt jeder individuelle Gei ft 
für fich. Diefes Prinzip muß fowohl bei den Weinften architek- 
tonifchen Kompofitionen, als auch bei größeren Aufgaben in A » 
wendung gebracht werden - beim Entwurf ganzer Stadtteile 
oder einer neuen Stadt. 
II. 
Die Perfpektiven der Straßen von Krakau zeigen als Ergebnis 
der miteinander verbundenen Häuferfaffaden eine reiche Mannig 
faltigkeit in Form, Stil und Farbe. Die Stadt Krakau zeigt bei 
nicht allzugroßer Terrainverfcbiedenbeit in den Perfpektive 
ihrer Straßen eine feböne Linie unmerklicber Neigungen, die ib 
ein gewiffes natürliches Gepräge verleiben. Die ^rcb hohe, ge 
wöhnlich über das Parterre und den erften Stock bmaufreicbend 
10. Heft • IV. 3ahrg.
	        
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