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im allgemeinen Charakter und zeigte höchstens kleine Varianten.
Wenn neuerdings die politische Schmerzens- und Zwangslage dem
bereits im Untergang begriffenen National - Costürn zu erneuerter
Bedeutung verholten hat, so ist das nur eine Episode, die mit der
Aenderung dieser Zwangslage bereits wieder in Abnahme begriffen
ist. Wäre sie nicht eine Episode, so hätte sie ihrerseits durch
Umwandlung den Untergang der National-Tracht hervorgerufen,
demi die vornehme Welt kann der Mode nicht mehr entbehren und
Mode und National-Costüm sind Gegensätze im Princip: das Eine
der ewige Wechsel, das ewig sich Bewundernde, das Andere das
Bleibende und Beharrende. Zum Beweise für die Notwendigkeit der
Mode mussten denn auch in Pest Mode-Journale für das National-
Costüm erscheinen. Heute werden sie wohl wieder überflüssig sein.
Hat Oesterreich oder speciell Wien heute auf diesem Gebiete
der Kleider-Mode irgend etwas Eigenthümliches oder Originelles?
Nein, im Wesentlichen gar nichts, und es erfindet auch nichts.
Selbst was Frankreich erfindet, ist ihm nicht als französisch eigen-
thümlich; Frankreich bringt nur den Zeitgeist in diesen Formen am
schnellsten und gewandtesten zum Ausdruck. Höchstens kann man
sagen, dass unsere modische Welt in den allgemeinen Formen sich
mit mehrUrtheil und Schönheits-Sinn als vielleicht ein anderes Land
bewegt, und dass es sich dieselben mehr individuell anzupassen weiss,
oder dass es mehr die lebhafteren Farben liebt. Es macht die Nähe
des Orients und die vielfache Berührung mit demselben, das Durch
wachsen der Wiener Bevölkerung mit Abkömmlingen des Orients»
welche gerade diese letzte Eigenschaft, die Vorliebe für lebhaftere
Farbe, zumal in den Augen des nordischen oder deutschen Gastes
auffallend hervortreten lässt.
Gehen wir auf das Gebiet des eigentlichen Kunstgeschmacks
über, so werden wir hier im Grossen und Ganzen, vielleicht die aller
jüngste Zeit ausgenommen, kaum eine andere Wahrnehmung zu
machen haben. Es ist z. B. in Oesterreich noch mancherlei von altem
Gerät und alten Möbeln erhalten, und die Liebhaberei bringt aus
abgelegenen Gegenden Neues herbei oder verschleppt es auch wieder.
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Man würde aber irren, wollte man an ihnen irgend eine künstlerische