D as Schaffen eines bildenden Künstlers restlos zu erklären, ist der Kunstästhetik
unmöglich. Mag man sich auch noch so sehr in das Leben des Künstlers einfühlen
und die letzten Tiefen zu ergründen trachten, Architektur, Plastik und Malerei, seien sie
in Form und Inhalt auch klar und überzeugend, behalten selbst vor dem verstehenden
Auge immer noch einen Rest von ungelösten und unzugänglichen inneren Reizen.
Eben darum haben die Werke bildender Kunst etwas absolut Zeitloses, haben immer
noch etwas zu geben und können immer erfreuen. Wir haben es erfahren, daß jede
Kulturepoche wieder neues Leben, neuen Inhalt und neue Bedeutung in die scheinbar
gestorbene Form zu tragen versteht. Die Werke der Philosophie und Poesie erschließen
dagegen ihre Probleme bald zur Gänze und vermögen bei wiederholtem Lesen oder
Hören vielfach nicht mehr jene Spannung und Erregung auszulösen, welche zum lust
vollen Genüsse notwendig sind. Zu Ende gedachte Gedankengänge und beschlossene
Schicksale sind jenes Rätsels verlustig geworden, das den Werken der bildenden
Kunst gewahrt bleibt und sie unerschöpflich macht. Hier ist auch die individuelle Vor
stellung ausschlaggebend; das sinnliche Moment ist stärker als jede mögliche und
allgemein gültige logische Auslegung. Die Ästhetik kann darum nur versuchen, die in
der äußeren Erscheinung verborgenen großen Unbekannten, die schließlich nichts
anderes sind als die Manifestationen der Menschheitsideen, ein wenig aufzudecken.
Sie in logische Begrifflichkeit aufzulösen ist fast unmöglich bei Dingen, die ihre Ent
stehung einem genialen Funken verdanken, der Vernunft und Sinnlichkeit in form
zeugende Verbindung bringt.
Den Sinh eines Kunstwerkes können wir daher in der Hauptsache nicht begreifen,
sondern nur erfühlen. Die innere Gesetzlichkeit, die wir als diesen Sinn am Kunst
werk entdecken und die uns dasselbe verständlich und genußvoll macht, ist für uns
einfach gegeben, wenn die Form durch eine Bewegung entstanden zu sein scheint,
deren Wirken und Gegenwirken, Entstehen und Enden wir als natürlich, das heißt als
organisch empfinden. Dies ist wieder der Fall, wenn die Bewegungstendenz der
ästhetisch gewerteten Kräfte und Tätigkeiten dem Zuständlichen des Lebens ent
spricht, wenn sie das Symbol der organischen Notwendigkeiten der Zeitempfindungen
und Zeitvorstellungen bedeutet. Und wie diese verschieden sind nach Rasse, Klima
und vor allem nach dem geschichtlichen Zeitpunkte, so sind auch die Symbole ver
schieden. Das graziös feminine Formenspiel des französischen Rokokos, die Grob
sinnlichkeit der italienischen Barocke, die Ubersinnlichkeit der deutschen Gotik oder
die selbstbewußte Ruhe und Gesetzmäßigkeit der griechischen Antike sind Symbole
von Zeit, Rasse und Klima. Völker mit ähnlichen Symbolen sind notwendig artverwandt
und deren Gefühl und Geist ist uns zugänglich wie deren Kunst und Sprache. Je
unverständlicher und ferner die Symbole, desto fremder bleibt uns die Rasse und
desto willkürlicher ist auch deren Auslegung. Die hochentwickelte, uns vielleicht über
legene Kunst Asiens bleibt uns zum Beispiel in ihrem wahren, innersten Wesen ver
schlossen. Was die Plastik Indiens, die Malerei Chinas oder die Holzschnitte Japans
auszudrücken bestrebt sind, bleibt uns ewig eine fremde Welt des Gefühls und des
Gedankens.
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