Wenige Künstler haben die noch unbekannten organischen Notwendigkeiten ihrer
Zeit so rasch zu erkennen und allgemein gültig zu symbolisieren verstanden, wie
Josef Hoffmann. Er löste das Problem, dessen das künstlerische Chaos der Zeit am
dringendsten bedurfte, er schuf in einer Zeit der vollkommensten Geschmacks
verirrung die neue Form, die bestimmt war, dem europäischen Kunstgewerbe ein
neues Gesicht zu geben. Er schuf jene Form, welche das Schöpferische der Persön
lichkeit mit einer bisher ungekannten, aber notwendig gewordenen Materialgerech
tigkeit verband. Hiezu gehört viel: Phantasie und Verstand um die gegebenen tech
nischen und sozialen Probleme künstlerisch umzudeuten, und eine mehr als geschickte
Hand, um die gefühls- und verstandesgemäß gewonnene Form auch rein und sicher
zur Darstellung zu bringen. Wie sah denn die Zeit aus, in die Josef Hoffmann gestellt
war? Gegen das Ende des neunzehnten Jahrhunderts strebten Architekten, Maler,
Bildhauer und Kunstgewerbler krampfhaft irgendwie der Makartzeit zu entfliehen,
suchten einen neuen Stil und glaubten einen solchen endlich im Ornament des Jugend
stils gefunden zu haben. Die einen schöpften hiebei aus der Vergangenheit und ließen
sich von Werken vergangener Stilperioden befruchten, die anderen wollten um jeden
Preis das ganz neue Ornament erfinden und versuchten es einmal mit dem Naturalis
mus, das anderemal mit dem Geometrismus. Beiden Versuchen fehlte aber der
zwangsläufige Impuls, der allein aus dem Verständnis der Zeit heraus die Form zur
organischen Entwicklung bringt. Noch war die Zeit der Sachlichkeit nicht gekommen,
aber es hieß den Weg zu bereiten. Der Triumph des technischen Zeitalters wurde erst
mit und nach dem Kriege ein vollkommener. Vorher aber war auch die Technik, oder
besser, die Maschine, erst am Wege. Ja, man empfand gegen das Ende des neun
zehnten Jahrhunderts und noch darüber hinaus das Wesen der Kunst als jenem der
Maschine gerade entgegengesetzt. Tatsächlich ist ja die Technik bestrebt, ihre
Leistungen durch möglichste Ausschaltung alles Organischen und dessen Ersatz durch
Anorganisches zu erzielen. Beim Kunstwerk liegt dagegen ein wesentlicher Teil der
Leistung in der Besonderheit der Sprache, im Pinselstrich oder Meißelschlag, also im
rein Organischen. Die Maschine setzt bei ihrer Entstehung fast ausschließlich
Intelligenz voraus und trachtet alles instinktiv Wirksame geflissentlich zu vermeiden.
Das Kunstwerk beruht dagegen gerade auf der Sensibilität des Instinktes und sucht
das Sichtbarwerden des Intellektes möglichst zu unterdrücken. Trotzdem kann heute
niemand die lebendigen und formschaffenden Beziehungen der Technik zur Kunst be
streiten oder sich deren unerbittlichen Rhythmus entziehen.
Hoffmann erkannte schon vor Jahrzehnten die Tendenz der kommenden Zeit, wenn
diese Erkenntnis vorerst auch unter seiner blühenden Phantasie verdeckt erscheint.
Er verstand es, die Zweckform mit dem Ornament in Einklang zu bringen, zu einer Zeit,
wo die Zweckform allein noch keine Lebensfähigkeit hatte. Hiezu gehört mehr als
kluges Zugreifen und ein geschicktes Handgelenk. Dazu gehört vor allem stilistisches
Taktgefühl und eine Phantasie, die sich vor der Phantastik zu bewahren weiß. Hoff-
manns schier unerschöpfliche Erfindungskraft ist bewunderungswert. Hoffmann ist der
einzige jener Gruppe höchst eigenartiger und schaffensfroher Künstler, die sich um
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