9
mit den Napoleoniden abgefunden — die Idee des politischen
Gleichgewichtes, die Furcht vor einer franco - russischen Allianz
und vor neuen revolutionären Bewegungen wirkten mächtiger in
ihm, als alle Begeisterung für das historische Recht und die alten
Ordnungen. In der deutsch-nationalen Bewegung sah er gleich
falls nur mehr eine Quelle neuer Unruhen und neuer Verwick
lungen, und wenn es darauf ankam, das entscheidende Wort zu
sprechen und den Protestantismus, den er einst als die Wurzel
alles revolutionären Uebels bezeichnet hatte, abzuschwören, so
wich er immer wieder zurück. Selbst die Schrecken der Hölle, mit
denen fromme Freunde den Epikuräer, dem vor dem Tode graute,
zu ängstigen pflegten, machten dann keinen Eindruck auf ihn. Es
trat hervor, dass er doch auch aus dem 18. Jahrhundert kam und
dass er einst zu den Füssen Kant’s gesessen war. Ja, Friedrich
Schlegel hatte ganz Recht, wenn er damals zürnend schrieb, Gentz
sei gar kein Conservativer mehr; er huldigte in der Praxis ganz
der nüchternen Staatsweisheit des aufgeklärten Absolutismus. Aber
so wie er war, war er den Machthabern recht. Die Wenigen unter
ihnen, die, wie der Czar Alexander, wirklich ganz und gar im
Ideenkreise der neuen politischen Romantik lebten — er gab den
Polen eine Constitution, er war der erste Monarch, der den wieder
hergestellten Jesuiten-Orden in seine Staaten rief — die täuschte
seine Vergangenheit, sie meinten, er sei noch einer der Ihrigen.
Und nun aber, in den niedrigeren Regionen, da sind noch
eine Menge von Persönlichheiten, von denen eine jede ein indi
viduelles Verhältniss zu den grossen Fragen der Zeit hat, und die
wir in der Gesellschaft, welche uns G-örres vorführt, so wenig
finden, wie auf dem offlciellen Congressbild Isabey’s in Windsor
Castle. Wir wollen hier nur Jener gedenken, die aus den unge
heuren Erfahrungen der letzten Jahrzehnte blos die Ueberzeugung
gewonnen hatten, dass die Menschengeschichte ein sinnloses, un
vernünftiges Durcheinander sei und nicht werth, dass man ernsten
Willen und Kraft an sie setze. Sie sind heute vergessen, aber
damals wirkten sie, wie solche Naturen meist, als ein starkes
gesellschaftliches Ferment. Varnhagen nennt besonders drei von
solchen Persönlichkeiten: den russischen Obersten Grafen Karl
Nostitz, den Frankfurter Rechtsgelehrten Dr. Jassoy und den
Berliner Wiesel — Wiesel schlechtweg. In ihnen war „Verneinung,
Satire und Holm incarnirt, sie folgten allen Erscheinungen und