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Wesen der Volksliteraturen erschlossen und mit Humboldt die
Wissenschaft der Nationalität begründet hatte. Der Classicismus
hatte mit Verachtung über das Mittelalter hinweggesehen, als eine
Nacht ohne Licht. Nun wird diese Nacht als sternenhell gepriesen,
und Alle wollen sich an ihrer Frische und ihrem würzigen Dufte
erfreuen. Die deutschen Volksepen und Minnelieder werden studirt
und erneuert, die Mundarten gepflegt, Ritterthum und Frauencultus
ei scheinen in farbenkräftigen Bildern, die Grösse der Vorzeit wird
angesichts der Erniedrigung in der Gegenwart gepriesen und be
sungen, die Phantasie erwacht, der Katholicismus gewinnt die Ge-
müther auf’s neue, an die Stelle des Olymp tritt wieder der Himmel.
Auf diesem Boden erwächst die neue Richtung der bildenden
Kunst, welche den Classicismus überwindet. An den Wortführern
in der Literatur, wie Friedrich Schlegel, lag es freilich nicht, dass
eine neue kräftige Kunst .erblühte; er wollte nur die mittel
alterlichen Vorbilder gelten lassen; Raphael, Tizian, Correggio und
selbstredend Michelangelo waren für ihn Verderber der Kunst, und
während die Mengs’schen Akademiker Künstler auf pädagogischem
Wege glaubten züchten zu können, meinten die Schlegelianer,
dass man nichts zu lernen brauche und Empfindung und Be
geisterung schon Alles besorge. Aber die Künstler waren ein
sichtiger als ihre Berather und Freunde. Der Architektur will man
die Antike überlassen, aber in der Malerei vor Allem soll das
Quattrocento und die altdeutsche Schule erneuert werden. Wieder
geht Dresden voran; Runge, Hartmann, Friedrich und Gerhard von
Kügelgen wenden sich hier an der Ursprungsstätte des deutschen
Classicismus zuerst von ihm ab. Der Sitz der Bewegung aber wird
bald verändert, und ein Grösserer übernimmt die Führung: Fried
lich Overbeck. Siebzehnjährig, kommt er im Jahre 1806 nach Wien
der Romantiker unter die Classicisten. Mit Widerstreben beugt er
sich durch vier .Jahre dem Absolutismus Fügers, aber endlich bäumt
er sich auf und kündet der Wiener Schule die Heerfolge; mit
Pfann, Wintergerst, Vogel und Sutter wird er von der Akademie
relegirt. Ihnen schliessen sich Hottinger und Scheffer von Leonharts,
hoff an, und als. geschlossene Partei mit eigenen Zielen wenden
sie sich nach Rom, wo freiere Luft weht. Aber nicht das classische
Rom suchen sie, sondern das * christliche. Sie siedeln sich im
Kloster S. Isidorö an, und diese Klosterbrüder oder Nazarener,
wie man sie nennt, revolutioniren die gesammte Malerei. Ihnen
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