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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 140)

se mich selbst fortwährend, ia bedenklich anmu- 
tende Montage-Technik gehört geradezu zur 
Konzeption des Buches . P5" 
Das Kompositionsprinzip der Montage, schon in 
Frühwerken verwendet, wird immer häufiger. 
Die „Memoiren" van Katia Mann haben eini- 
ges zur „Entschlüsselung" solcher Montagen bei- 
gesteuert und bestätigt, was Thomas Mann be- 
reits in „Bilse und lch" geschrieben hat: Der 
Künstler stützt sich  am liebsten auf die 
Wirklichkeit. - 
Das Kunstmittel, bereits existierendes Material 
in das eigene Werk einzubauen, ist eine seit 
langem geübte Praxis und war z. B. im Barock 
sehr beliebt. Zu Beginn unseres Jahrhunderts 
erhält diese Technik unter dem Namen „Mon- 
tage" in allen Kunstgebieten eine neue Auf- 
wertung und wird von n-un an programmatisch 
angewendet. Benützt Picasso in seinem „Ovalen 
Stilleben" aus dem Jahre 1912, das als erste 
moderne Montage gilt, einen echten Strick als 
Rahmen und ein Stück Wachstuch, das ein 
Geflecht vortäuscht, während gleichzeitig Brac- 
ques und Juan Gris aufgeklebte echte Tapeten 
und Zeitungsfetzen in ihre Kompositionen ein- 
führen, so geht es diesen frühen Beispielen 
 
doctus" der Vergangenheit wie der Gegenwart 
entnimmt, ist immer höchstes Kunstgut. Nur größ- 
te und reprösentativste Meisterwerke der Ver- 
gangenheit werden als „Zitate" in das eigene 
Werk aufgenommen, darin „montiert". 
Die literarischen Montagen Thomas Manns sind 
in einer Reihe von Untersuchungen zum Großteil 
„demontiert" worden w. Die Bibliothek des Dich- 
ters, Bücher, Listen, Werke, die er bei der 
Arbeit, zur „Fundamentlegung",wie er es nannte, 
konsultierte, heute im Thomas-Mann-Archiv in 
Zürich bewahrt, haben diese Arbeiten weitge- 
hend erleichtert. 
G. Bergsten ", die für den „Doctor Faustus" eine 
vorbildliche Arbeit geleistet hat, unterscheidet 
typenmößig zwei Arten von „Zitaten". Gleich 
ob es um Elemente der Wirklichkeit, d. h. um 
faktische Gegebenheiten, wie lebende Personen, 
authentische Milieus, wirkliche Ereignisse, geht 
oder künstlerisch bereits geformtes Material ist, 
kann es sich einerseits um „offene" Zitate han- 
deln, d. h. um solche, die der Leser erkennen 
soll, oder um „geheime", die selbst dem kundig- 
sten Leser entgehen können - oder sollen. 
Eine für die Genese des Werkes Thomas Manns 
äußerst wichtige Quelle wurde iedoch über- 
 
4 Männliches Bildnis, nach 700 v. Chr. Berlin, ehem. 
Ägyptisches Museum 
5 Königin Teie, um 1400 v. Chr. Berlin, ehem. 
Ägyptisches Museum 
 
doch noch in erster Reihe um eine Auswertung 
der formalen Möglichkeiten solcher Fremdkör- 
per. Mit den Dadaisten jedoch wird die Montage 
sozialkritisch. Diese montieren vorwiegend „Ab- 
fälle des Lebens", um den Geschmack und die 
Kultur der Bourgeoisie zu persiflieren. Ihre Mon- 
tagen sollen den falschen Ästhetizismus und sen- 
timentalen Kunstgenuß dieser Gesellschaft an- 
prangern. Außerdem kann man durch die Mon- 
tage auch den Naturalismus, ein ebenfalls spe- 
zifisches Kunstmittel der bürgerlichen Kultur, ad 
absurdum führen: warum ein Trampe-Laeil malen, 
wenn man das Obiekt selbst, tel quel, auf die 
Malfläche nageln kann! Gesteigert wird diese 
Kunstfeindlichkeit noch dadurch, daß die Dada- 
isten, wie schon weiter oben gesagt, vorwiegend 
Abfälle des Lebens verwenden: Zeitungsfetzen, 
Blechstücke, Flaschenkorken u. ä., lauter armse- 
liges Zeug, das aus dem Mülleimer zu stammen 
scheint. Diese Montagen drücken also schon 
durch die Wahl der Objekte ihren Protest ge- 
gen die „hohe" Kunst aus. In der Literatur kann 
Karl Kraus als der vallkommenste Vertreter die- 
ser „Montagetechnik" gelten. Für ihn waren 
die Abfälle der Sprache: Tagespublizistik, All- 
tagsgewösch, ihres Sinnes entblößte Sprachkli- 
schees - in monumentaler Form verwendet - Mit- 
tel, um den Unwert einer Gesellschaft zu geißeln. 
Bei Thomas Mann ist die Montage von der der 
Dadaisten oder der von Karl Kraus grundver- 
schieden. Er hat sie nie als Zeichen einer sozia- 
len Kritik verwendet, es handelt sich bei ihm 
nie um „Abfölle" des Lebens oder der Sprache. 
Im Gegenteil: das Material, das der „Poeta 
76 
sehen. Erklörlicherweise, denn sie lag außer- 
halb des Forschungsgebietes der Literaturhisto- 
riker: Die Welt der bildenden Kunst. 
Kurz nach dem Erscheinen des „Doktor Faustus", 
im Jahre 1947, habe ich aufzeigen können, daß 
eine ganze Reihe der Helden auf Porträts van 
Dürergemalter Personen zurückgeht und in einem 
ungewöhnlichen künstlerischen Umformungspro- 
zeß im Roman zu neuem Leben erweckt worden 
ist". Damit war bewiesen, daß Thomas Mann 
nicht nur Texte und Fakten in sein Werk auf- 
nahm, sondern auch Werke der bildenden Kunst. 
Es handelte sich um etwas, was man „Bildzitat" 
nennen könnte. inzwischen sind weitere Unter- 
suchungen vorgenommen worden, die meine 
Mutmaßung bestätigt haben, und zahlreiche 
„Bildzitate" sind entschlüsselt worden. Es waren 
ihrer nicht wenige ". 
Der Grund, warum Thomas Mann Montagen die- 
ser Art in so auffallend großer Menge verwen- 
det hat, ist der gleiche, der ihn zwang, auch bei 
seinem Stoff auf Vorlagen zurückzugreifen. Auch 
bei der Konzeption seiner Romanfiguren benö- 
tigte Thomas Mann ein Vorbild. Wenn Erinne- 
rungen und persönliche Anschauung, die sich 
Thomas Mann, wie wir wissen, wenn er in 
„Not" war - wie er es in seinem Entschuldi- 
gungsbrief an G. Hauptmann nennt -, caute que 
coute verschaffen mußte, nicht ausreichten, griff 
er zlu bildlichen Vorlagen ieder Art: Fotogra- 
fien, Ansichtskarten, Prospekten und vor allem 
Kunstbüchern. Aus allen ließen sich Anregungen 
für die Gestaltung der Romonfigur holen, die 
zu „erfinden" Thomas Mann ebensowenig im- 
3 Familiengruppe des Zwerges Seneb, um 2500 v. 
Chr. Museum Kairo 
Anmerkungen 15-19 
" Th. Mann, Die Entstehung, a. a. 0., S. 60. 
" H. Mayer, Das Zitat in der Erzühlkunst, Zur Gesdi. und 
Poetik des europäischen Romans, Stuttgart 1961; W. R. 
Berger, Die mythologischen Motive in Thainas Manns 
Roman „Joseph und seine Brüder", Wien 1971, w. 
Holthusen und H. Taubner, Dürers Philipp Melanditon 
und „Bildnis einer iungen Frau" als visuelle Vorbilder 
für die Eltern von Adrian Leverkühn in Thomas Manns 
„Dßktßr Faustus" in: „Die Waage", val. a, No. 2, 1963, 
u. Finke, Dürer und Thomas Mann, Manchester 1973. 
ll G. Bergsten, Thainas Manns „Doktor Faustus", Studia 
Litterarum Upsalensis 1'763. 
"H. Zaloscer, Le „Docteur Faustus" de _Thomas Mann et 
ses mediales, in: L0 Revue du Caire, Kairo 1953. 
" Siehe Fußnote No. 16.
	        
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