MAK

Volltext: Die Plastik Wien´s in diesem Jahrhundert : Vorlesung gehalten im österr. Museum am 31. October 1876

8 
Gestalten, denen die Gedankenarbeit so zu sagen an die Stirne geschrieben 
ist; aber sie ist linkisch und ungraziös in ihren Bewegungen. Daher muss 
der Deutsche zur plastischen Kunst erzogen werden und daher kommt 
auch verhältnissmässig selten unter den Deutschen ein bildhauerisches Ta 
lent zum Durchbruch. Auch der Oesterreicher, speciell der Wiener, san 
guinisch wie er ist, für Farbenwirkung, für Musik und Lyrik sehr em 
pfänglich, warm in Allem was er fühlt, und weniger an Gedankenarbeit 
gewöhnt, muss daher zum Verständniss der Plastik erzogen werden. Erst 
in dem letzten Jahrzehnt sind ernsthafte Schritte geschehen, die Plastik zu 
heben; denn die Zeit der Regierung des Kaisers Franz hat wenig gethan 
und konnte auch, nach dem ganzen Regierungssystem, wenig thun, diese 
Kunst an der Akademie zu heben. Das Einzige, was auf dem Gebiete 
der Plastik wirklich geleistet wurde, das sind die Aufträge, die den Zög 
lingen der Akademie der bildenden Künste, welche mit den Kaiserpreisen 
ausgezeichnet wurden, ertheilt wurden, nämlich die Ausführung von 
Gruppen in Marmor während der Zeit ihres Aufenthaltes in Rom in 
den Ateliers des Palazzo di Venezia, dem Österreichischen Botschaftshotel. 
Diese Figuren sind auch fast die einzigen Werke in Marmor, welche sich 
im Besitze des kaiserlichen Hofes, speciell in der kaiserlichen Galerie im 
Belvedere befinden. Der Gedanke, welcher diesen Aufträgen zu Grunde 
lag, war gewiss ein richtiger und hat sich in der Praxis auch vollständig 
bewährt. Die Gruppen, die auf diesem Wege entstanden sind, der »Jason« 
von Kaessmann, »Mars, Venus und Amor« von Kiesling, die »Pietä« von 
Bauer sind achtbare Werke, welche der österreichischen Bildhauerkunst 
zur Ehre gereichen und denen man ansieht, dass sie in der geistigen At 
mosphäre Roms, der Marmormuseen des Vatican und der zahlreichen 
Bildhauerateliers, unter denen damals jene Ganova’s und Thorwaldsen’s 
den ersten Rang einnahmen, entstanden sind. Was man bedauern konnte, 
war nur die Sparsamkeit, mit der man solche Aufträge ertheilte und der 
Umstand, dass die Künstler, die man auf diesem Wege — und dieser 
Weg war, wie gesagt, der richtige — gebildet hatte, dann sich selbst 
überliess, wenn sie in die Heimat zurückgekehrt waren. Sie hatten in Rom 
Tüchtiges gelernt und vollgiltige Proben ihrer Leistungsfähigkeit abgelegt; 
sie hatten ihre Anschauungen geläutert und ihren Geist mit den Idealen 
erfüllt, die nirgendwo eine kräftigere Nahrung empfangen konnten, als auf 
dem geweihten Boden des alten Rom. Sie kamen in den Jahren zurück, 
in denen der ideale Drang der Jugend mit der männlichen Thatkraft sich 
verbindet und fanden sich bald enttäuscht und ernüchtert in den Verhält 
nissen, welche sie vorfanden und die zu Allem eher geeignet waren, als 
zur Förderung der Plastik. Das Höchste, was in damaligen Zeiten ein 
solcher Künstler erreichen konnte und was die meisten auch erreicht 
haben, war die Stelle eines Correctors oder später eines Professors an 
der Akademie der bildenden Künste. Sie wurden auf diese Weise Glieder 
einer Beamtenhierarchie, welcher die Lehrthätigkeit zugewiesen war und
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.