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Volltext: Der Gösser Ornat im k. k. österr. Museum für Kunst und Industrie

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romanischer Kunst kennen, übertrifft; man könnte, fürchtete man nicht miß 
verstanden zu werden, fast sagen, wir haben hier ein romanisches Barock 
oder Rokokowerk vor Augen. — Die Vorzeichnung der Stickerei, die offenbar 
auf der Leinwand selbst entworfen wurde, kann anderswo hergestellt worden 
sein, vielleicht in Salzburg. Mit diesem wichtigen kirchlichen und kulturellen 
Mittelpunkte scheint Göß ja von Anfang an in Verbindung gestanden zu 
haben. Schon der zu Beginn dieses Aufsatzes erwähnte Aribo hatte dort 
eine hohe kirchliche Würde inne und nach Wichner* ist es nicht unwahr 
scheinlich, daß auch die erste Äbtissin Kunegunde von dort gekommen ist. 
Jedenfalls konnte Salzburg aber auch noch im XIII. Jahrhunderte anregend 
wirken**. Die Ausführung der Stickerei erfolgte aber sicher durch die genannte 
Äbtissin in Göß oder wenigstens unter ihrer Leitung, und über die Zeit, etwa 
die Mitte des XIII. Jahrhunderts, kann nach dem Gesagten kein Zweifel 
obwalten***. 
Obwohl unsere Stickereien, wie es bei mühevoller Handarbeit kaum 
anders sein kann, dem Schwünge der freieren Vorzeichnung nicht immer ganz 
nachfolgen können, obwohl sie dadurch im ersten Augenblick auch etwas 
älter und vielleicht etwas zurückgeblieben erscheinen und obwohl die Zeich 
nung selbst vielleicht auch tatsächlich in mancher Beziehung hinter manchen 
Werken ihrer Zeit zurücksteht, so übertrifft der Ornat, abgesehen von der 
Vollständigkeit und Erhaltung der Farben, doch fast alles sonst Erhaltene 
eben durch die großartige Kühnheit der Gesamtanlage und dies, sowohl was 
Linienführung als was Farbe anbelangt. Wenn man einmal einen wirklichen 
Überblick über die Entwicklung deutscher romanischer Kunst zu geben unter 
nimmt, dann wird dieses Werk einen besonderen Platz einnehmen müssen. 
So wie die „barocke“ Entwicklung der Gotik und dann die eigentlich so 
genannte Barocke (des XVII. und XVIII. Jahrhunderts) vielleicht nirgends 
eine so kühne und malerische Entwicklung genommen haben, wie auf süd 
deutsch-österreichischem Boden, so war es anscheinend auch schon in der 
späten romanischen Zeit der Fall, und unser Ornat ist vielleicht der bedeu 
tendste Beleg hiefür. 
* Am angeführten Orte, Seite 164. 
** Man vergleiche auch G. Swarzenski ,,Die Salzburger Malerei“ (Leipzig 1908), zum Beispiele Abbildung 
455 und 456 (Säulendecor und anderes); leider fehlt noch der Textband, der nähere Anhaltspunkte bieten könnte. 
Es möge daher auch die Frage nach dem engeren Entstehungsgebiete der Vorzeichnung unseres Ornates einst 
weilen dahingestellt bleiben. 
*** Wenn Pfarrer Finster und Theußl (am angeführten Orte, Seite 101) annehmen, das Werk müsse von 
der ersten Äbtissin des Namens Kunegunde herrühren, weil die zweite ihrem Namen die Bezeichnung altera 
oder andere hätte beifügen müssen, so mag darauf hingewiesen sein, daß solche Bezeichnungen in alter Zeit 
höchstens dann üblich sind, wenn zwei Träger eines Namens einander zeitlich ganz nahe stehen. Auch 
sprechen die Schriftzüge keineswegs gegen, sondern für die Zeit der zweiten Kunegunde; man braucht nur die 
angeführten Arbeiten aus St. Blasien zu vergleichen. -/Erst während des Druckes werde ich auf einen Aufsatz 
von Dr. Ulrich Schmidt über „Das Einhorn und seine Bedeutung in der Kunst“ (Walhalla I) aufmerksam gemacht, 
wonach das Einhorn bei Szenen wie auf unserem Antependium (Seite 11) schon im XIII. Jahrhunderte als direkte 
Vertretung des Christkindes aufgefaßt werden kann. 
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