Lineal und Zirkel verdrängten die Feder. Man zeichnete, zirkelte und konftru-
ierte anftatt zu fchreiben, und es war in unferen Tagen harte Arbeit nötig, um
wieder zu der fo einfachen Erkenntnis zu fiihren, daß Schrift von Schreiben
kommt.
Den Anlaß zur Schriftbewegung gab zwar das Anwachfen der praktilchen
Schriftanwendungen, namentlich des Anzeigenwefens, bald aber erwuchfen aus
dem Unterrichte in ornamentaler Schrift Erkenntnifle, welche die Wertung der
Schriftpflege von einer weitaus höheren Warte ermöglichten. Es ilt dies die
Erkenntnis der allgemein kunfterziehlichen Macht des Schriftfehreibens. Das
fortwährende Erleben von Rhythmen, das es bedingt, übt feine kunfterzieherifchc
Wirkung gleich (am wie Skalen und Etüden aus. Es entwickelt, pflegt und
vertieft, Ibzufagcn unter der Oberfläche, die Kunftempflndung. Der im Schrift
rhythmus Geübte wird folglich auch dem tieferen Verltändnis von Kunftwerken
aller Richtungen nähergebracht und fo am heften vorgebildet, lieh mit läebe
und Verftändnis einzufühlen in das Schaffen eines großen Geitalters. Und zwar
ibwohl in das bereits allgemein anerkannte Schaffen der Meifter der Vergangen
heit, als auch in die neue, vielen noch fremde Welt des zeitgenöflifchen Meilfers.
Die Pflege des Schriftfehreibens ilf alfo eine wichtige, eine die Allgemeinheit
tief berührende Angelegenheit. Sie gehört in jede Schule, Schriftfehreiben ibll
jedermann, ob er es praktifch zu verwerten hat oder nicht, es ift ein allgemein
bildendes Erziehungsmittel. Hiezu kommt, daß das Studium dekorativer Schriften
auf die Bildung des Geichmackes vorteilhaft wirkt, daß dieies Studium das
Gefühl für die richtige Verteilung auf der Fläche fördert und fo die befte
Erziehung für dekorative Geftaltung bildet. Auch dem Zeichenunterrichte wird
durch Schriftbetätigung eine mächtige Vertiefung uird gefühlsmäßige Förderung
zuteil. Theoretifch begründet erlcheint die kunlterziehliche Macht der Schriftpflege
in folgendem; Der gute Unterricht in ornamentaler Schrift ghedert (ich nach
zwei Richtungen; Erlfens; der Buchlfabe an (ich, (eine Ge(talt, (ein Umriß, (eine
Ifonfiguration, fein Gerüft. 'Zweitens; die Beziehung der Buchftaben zueinander,
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