ÜBER CARL SCHUCH NEBST EINIGEN BRIEFEN
VON IHM
VON ARTHUR ROESSLER
NACHDRUCK VERBOTEN
on ftampfendcn und fcbwet keuchenden, ruftiken Trägern
geftürzte große Bilderkiften ftießen gewichtig auf und
dröhnten. Krachend und fplitternd öffneten fich die höl
zernen Behälter. Staub wirbelte auf, Rufe fcballten, Hammer-
fchläge knallten. Das Lebenswerk CARL SCHUCH 3 ward ans
Licht gehoben. □
Ich ftand dabei, denn es gefebab dies auf meine Veranlaffung.
Ich wollte den Wienern die künftlerifche Lebensarbeit eines
Wiener Malers zeigen, von dem fie nichts wußten. Ich war mir
klar darüber, daß man dies eine Mal den Wienern keinen Vor
wurf aus dem Umftande machen durfte, daß fie den Künftler
nicht kennen, von deffen Lebenswerk ich den größten und
beften Teil in der Galerie Miethke zur Ausftellung brachte;
denn Carl Schuch batte fich in einer freiwilligen Verfchollenheit
gehalten. Die Wiener batten ihm vor diefer Ausftellung noch
kein Unrecht angetan, wie fo manchem feiner Berufsgenoffen,
aber fie batten fich die ihnen von mir gebotene Gelegenheit
dazu natürlich nicht entgehen laffen. Ein Wiener, wenn auch
weniger dem Wefen als der Geburt nach, war Schuch nach lang
jähriger Irrfahrt wieder zu den Wienern gekommen. Er forderte
jedoch nicht viel von ihnen und war darauf gefaßt, noch weniger
zu finden. Die von mir veranftaltete Ausftellung follte nach
feinem Tode beweifen, wie durchaus recht er damit hatte. Nicht
ein Bild von Schuch wurde in Wien gekauft, nicht die kleinfte
Studie für die Moderne Galerie erworben. Die wenigen ver
käuflichen Bilder, welche die Ausftellung enthielt, gingen, nachdem
fie gefchloffen war, in den Befitj deutfeber Galerien über, deren
Leiter febon feit Jahren die ab und zu auf den Markt gelangenden
Gemälde Schuchs forgfam gefammelt batten. Diefe Wiener her
gebrachte Gleichgültigkeit batte damals mich und Maler Moll,
der mir bei dem Arrangement der Ausftellung half, nicht wenig
verdroffen. Mich vermochte der Mißerfolg felbftverftändlich an
Schuch nicht irre zu machen. Vielleicht gelingt es auf dem Um
wege über die Perfönlicbkeit das Intereffe für das Werk zu er
wecken, für das Werk, das in ungewöhnlicher Weife wertgrädig
künftlerifch ift. □
Wenn man zum erftenmal eine Anzahl von Arbeiten Schuchs
fiebt, ruft man gewiß: Was für Bilder unerwarteter Art find doch
diefe! Es wird einem auch bald deutlich, daß ihnen in der ge
wohnten Weife nicht beizukommen ift, daß die Äftbetik älteren
Schlages mit ihnen fonderliches nicht anzufangen weiß, denn
fie find nicht in der traditionellen Weife »febön«. Die alte
Äftbetik ließ als »febön« nur das gelten, was beftimmte, von
ihr beftimmte Regeln und Formen aufwies, ja fie forderte fogar
einen beftimmten Inhalt, ein beftimmtes Gegenftändliches. Die
neue Äftbetik dagegen verlangt nur, daß Form und Inhalt in
einem beftimmten Verhältnis zueinander und zum Menfcben,
feinem Gefühle und feiner Auffaffung von Natur und Leben
ftehe. Sie mißt bei der Beurteilung eines Kunftwerkes dem
handwerklich Technifchen, ja felbft dem wichtigeren Prinzipiellen
allzu große Bedeutung nicht zu, weil es nicht dazu verhelfen
kann, den letzten und äußerften Wert und Gehalt eines Kunft
werkes zu erkennen. Ihre Form der Kritik ift nicht die nach
willkürlich angenommenen Regeln erfolgende Beftimmung des
Wertes eines Kunftwerkes, fondern die pfycbologifcbe Analyfe
des künftlerifchen Schaffens und Genießens. □
Es wurden zwar aberviele Verfuche gemacht, tief febürfende und
feicht taftende, von ernften Suchern und anwollenden Gauklern,
um den Begriff der Schönheit zu beftimmen, eine allgemein
gültige Form für ihn zu bilden, doch waren fie alle, ftreng ge
wertet, müßiges Beginnen, trotj der mancherlei feinfinnigen und
paradoxen Randgloffen, die dabei mitunter auffprübten und die
ergötjlich wahrzunebmen find. Denn Schönheit, wie alle menfeh-
licbe Sinneserfabrung, ift etwas bedingtes, wie ein feinfpürender
Kunftempfinder einmal fagte — der Verfuch ihrer Erklärung
wird daher um fo finn- und wertlofer, je mehr er nach Ver-
allgemeinerung ftrebt. Das Ziel des echten Äfthetikers befteht
nicht darin, die Schönheit in ihren abftrakten, fondern in ihren
konkreten Beziehungen zu erklären, keine allgemein gültigen,
fondern die befondere Formel zu finden, welche diefe oder jene
Offenbarung der Schönheit am klarften zum allgemeinen Be
wußtfein zu bringen vermag. Die Äftbetik ift ein Teil der
Pfychologie — weil Kunft in gefetjmäßigen Formen vollzogener
böcbfter Gefüblsausdrudc ift. Alle Pfychologie muß aber von
der Selbftbeobachtung ausgeben, weil wir nur auf Grund der
Ereigniffe unteres eigenen Seelenlebens über Gefühle urteilen
können. Ein Gefühl ift für uns nur dann wirklich, wenn wir
es fühlen. Die Gefühle anderer bleiben uns fremd, fofern wir
nicht ähnliches vorher felbft febon erfühlten. Daher ift die
Fähigkeit, Kunftwerke richtig beurteilen und genießen zu können,
ein durchaus perfönlicbes Können, eine individuelle Kraft, deren
Anlage in unferem Wefen, in deffen feiner Empfindlichkeit und
Empfänglichkeit beruht, die nicht erlernbar ift, fondern vor
handen fein muß, wenn fie fich auch in bewußter Weife außer
ordentlich entwickeln, fteigern läßt. □
Wie alle Kunft dem äftbetifchen Luftgefühl entfpringt, erregt
fie wieder äfthetifebes Luftgefühl, und das intenfivfte dort, wo
fie zum weiterbildenden Nachfcbaflren Gelegenheit bietet. □
Man kann es wohl ruhig ausfprechen, daß die impreffioniftifche
Kunft, und zwar die im Wefen impreffioniftifche, in der Aus-
drucksform jedoch bewußt ftilpflegende, jene ift, die am meiften
zum künftlerifch-kritifchen Nachfchaflren anregt und damit jene
Kunftart, die ftärkfte äftbetifebe, Luftgefüble auszulöfen vermag.
Ich fehe voraus, daß hier von manchen die Bemerkung ge
macht werden mag, daß die Werke des Impreffionismus aber
gar nicht »febön« feien. Hierauf möchte ich vor allem mit der
Bitte antworten, die vorhergehenden Zeilen nochmals lefen und
auch überdenken zu wollen, fodann will ich fagen: ein Kunft-
werk kann an fich febön fein, d. b. äftbetifebe Luftgefühle zeugend
fein, und dennoch nicht für febön gelten, weil es dem Bewußt
fein der Zeit inhaltlich und förmlich nicht entfpriebt. Stimmt
die Auffaffung des Künftlers, wie fie im Werke zum Ausdruck
gelangt, mit der durchgehenden Auffaffung einer gewiffen Zeit
überein, fo gelangt die befondere Schönheit des Kunftwerkes
zu allgemeinem Bewußtfein und dadurch zur Anerkennung.
Ferner muß den Gegnern der impreffioniftifchen oder Illufions-
kunft entgegengebalten werden, daß es äußere Anhaltspunkte
zur Beurteilung eines einzelnen Kunftwerkes in bezug auf Gut
oder Schlecht nicht gibt, weil das äftbetifebe Urteil auch im
einzelnen Falle von dem Bewußtfeinsinbalt abhängig ift, in den
fich der Eindruck des Werkes einfügt. □
Das vorftebende foll als Hinweis gelten, wie verfucht werden
mag, in das Werk von Carl Schuch mit verftehendem Genießen
einzudringen, denn es eignen ihm mehr als nur Oberflächen
werte. Und nun zu dem Manne felbft. □
Über die Herkunft der Familie des Malers Carl Schuch bat
man leider keine fieberen Nachrichten. Die eine Verfion gebt
dabin, daß Schuchs Vater aus der Pfalz in Wien einwanderte
und dafelbft als Gaftwirt mit großem Erfolg tätig gewefen fei;
die andere dagegen behauptet, daß im alten und gerühmten
Gaftbof »zum goldenen Pfau« an der Taborftraße in Wien, Carl
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