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Um diese Entwicklung in ihrer Eigenart zu verstehen, muß man
wenigstens einen flüchtigen Blick auf die Entwicklung der Malerei
und auf die gesellschafflidhe Situation zur Zeit des Aufkommens des
Holzschnittes werfen.
Träger der Kunst waren in der vorhergehenden Zeit der Kaiser
hof bzw. die Höfe der vielen Feudalfürsten einerseits, die Geistlidi-
keit andererseits. In der Malerei, die jene Kreise interessierte, fehlte
zwar die Darstellung aus dem täglichen Leben, das Sittenbild, nicht
völlig, spielte aber eine geringe Rolle neben den vielen durch eine
lange Überlieferung geheiligten Themen eines gehobenen Stiles. 1650
aber starb ein Maler, Iwasa Matabe, der zwar auch den höfischen
Kreisen angehörte, der aber Themen aus dem täglichen Leben be
sonders bevorzugt hatte. Sein Ruhm wuchs so sehr, daß sein Name die
seiner zum Teil sehr bedeutenden Vorläufer und Zeitgenossen ver
drängte. Von seinem Schaffen leitet man daher die Ukiyoe-Schule ab,
die vom Begriff „Ukiyo“ ihren Namen führt, den man mit „bewegliche
Welt“ wiedergeben kann. Sein Sohn Gembe, oft auch Matabe genannt,
führte seine Richtung weiter. Noch einen dritten Matabe, richtig aber
Matabei, gab es, von den beiden genannten unabhängig, der in Ötsu
am Biwasee flüihtig aber humorvoll gemalte Blätter mit Darstellungen
aus dem Alltagsleben an die Straßenpassanten verkaufte. Für den Holz
schnitt arbeiteten diese drei noch nicht, und auch später schufen nicht
alle Maler der Ukiyoe-Schule für den Holzschnitt, und nicht alle
Holzschnittmeister gehörten dieser Schule an, aber doch weitaus die
meisten. Mit dieser Hingabe an den neuen Themenkreis allein schon
war ein unmittelbarer Anschluß an den vorangehenden chinesischen
Farbholzschnitt unmöglich, denn die drei genannten Meisterwerke
dieses Kunstzweiges leben ganz von den klassischen Bildinhalten
der chinesischen Kunst und lassen keinen Raum für den Alltag. Das
Aufkommen der Ukiyoe-Schule war geschichtlich bedingt. 1603 ist
das offizielle Datum, mit dem eine neue Familie, die Tokugawa, das
Shogunat antrat. Die Shogune waren die wirklichen Träger der
Macht in Japan, da die Kaiser von 1192 bis 1867 nur nominell
Staatsoberhaupt waren. Tokugawa leyasu, der Begründer der
Dynastie, hatte die Jahrhunderte dauernden furchtbaren Bürger
kriege mit der Niederringung seiner Gegner beendet, und für Japan
begann eine fast zweihundertjährige Periode inneren Friedens. Mit
der wirtschaftlichen Blüte dieser Zeit kam aber ein neuer Stand hoch,
der Bürgerstand, der es mit wachsendem Reichtum dem Adel in
vielen äußerlichen Dingen gleichzutun versuchte. Dem Unterhaltungs
bedürfnis dieser Bevölkerungsschicht diente bald eine neue Gattung
von Literatur, die nidit mehr Sagen und geschichtliche Stoffe allein,
sondern auch Themen des Alltagslebens in realistischer Weise be
handelte. Sie fand in Form billiger, dünner Heftchen, die oft mit
Holzschnitten illustriert waren, reißenden Absatz. Das Theater, eben
falls in einer neuen Form, die Freudenhausviertel, berufsmäßige Ring
kämpfer sorgten in immer steigendem Maß für die Zerstreuung der
Massen, vor allem in der Residenz der neuen Shogune, in Edo, dem