3
Wenn zur Feier von „950 Jahre Österreich“ in Wien und
damit überhaupt in Österreich die erste Gcsamtausstellung
der .österreichischen Kunst gezeigt wird, so ist es nicht der
Zweck dieser Ausstellung, eine detaillierte historische Ent
wicklung unserer Kunst darzubieten. Es wird gewiß von
großer Bedeutung sein, allmählich ein volles wissenschaft
liche^ Bild der österreichiscEeh Kunst zu besitzen, aber das
eigentliche Ziel ist, einen Gesamtbliik auf unsere Kunst den
Österreichern und unseren"ausländisclien Freunden zu bieten
und so zugleich einen Blick in die Seele des österreichischen
Volkes zu tun; denn aus dem Geiste der Kunst spricht nicht
nur die Seele des Künstlers, sondern auch die des ganzen
Volkes. Es wurde darum versucht, die Aufstellung der ein
zelnen Kunstteile: Malerei, Plastik, Graphik, Kunstgewerbe
und ArcTiifetrRfr^ sowö^dies die Räume gestatten, in jeder
einzelnen Etioche zu einerimesamtBildc zu vereluhciitGchen..*'
repAQXi, in den ersten drei Jahrhunderten unserer 950jährigen
UTpoche sind die erhaltenen und für museale Zwecke zur
Verfügung stehenden Kunstwerke so wenige, daß._ei&-solches
^ig) „n,jc.hi. ci;-re.ü-.hti ^YEiden konnte, ETnige illuminierte Hand
schriften und KuustgewerbeoRjekte zeigen uns, wie die Ab
kehr von der Natur, die die spätantike Kunst durchführte,
auch hier, wie in ganz Europa, die romanische Kunst noch
im wesentlichen beeinflußte; aber mit der gotischen Periode
beginnt wieder die Kunst sich der Natur zuzuwenden. Noch
ist anfangs das Gefühl der Wirklichkeitsgebundenheit ein
ganz geringes, die Freude an dem geistigen Ausdruck durch
die Gebundenheit der Form, durch das wirklich phantastische
Linienspiel — das .sich so oft hauptsächlich in der Darstellung
der Gewänder zeigt — ist noch größer als der Naturalismus;
bis in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts die Ent
wicklung sich stärker nach dieser Richtung hin erstreckt und
zur Renaissance übergeht, bei der wie in der klassischen
Antike der Mensch das Maß aller Dinge ist und daher der
Ausdruck des Übersinnlichen zurücktritt. Die Zentrale dieser
Entwicklung war Italien und von dort aus sind wenigstens
die Tiroler Künstler, vor allem Pacher, beeinflußt worden.
Dies wäre aber kaum der Fall gewesen, wenn nicht die ge-