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ZUR EINFÜHRUNG
IN DIE ISLAMISCHE M I N I ATU R E N MALE R E I
lin Gegensatz zur Mittelmeerkunst, die für die Geschichte
der europäischen Kunst entscheidend wurde, hat die Kunst
des Islam nicht die Darstellung des Menschen in den
Mittelpunkt ihres Wirkungskreises gesteht, auch nicht die
Wiedergabe der belebten oder der unbelebten Natur,
sondern das Ornament.
Eine unerschöpfliche und vielseitige Gestaltungskraft bindet
in freiem Spiel Linien und Farben ineinander oder formt sie
zu strengem Gefüge; auch Motive der Umwelt werden in
gleichem Sinne naturfem gewandelt und erneuert. Die Ab
neigung gegen eine ihusionsnahe Wiedergabe der Natur —
lange Zeit glaubte man, sie beruhe auf einem ausdrücklichen
Verbote des Propheten, Abbilder lebender Wesen zu schaffen
— ist in der Geistigkeit der gesamten islamischen Kultur tief
verwurzelt. Sie macht sich selbst dort geltend, wo im Wand
schmuck, bisweilen auch auf Stoffen, auf Gefäßen und
Geräten, vor allem aber in der Buchmalerei das freie
Ornamrat durch Darstellungen zurückgedrängt wird. Denn
auch hier unterliegt ein jeglicher Gegenstand dem gleichen
künstlerischen Zwang: die dekorative Bildwirkung wird
niemals durch eine getreue Nachahmung der Wirklichkeit
aufgehoben.
Der größte Anteil an einer darstellenden Kunst innerhalb
des Islam war der Buchmalerei Vorbehalten. Aber nur die
beschreibenden und erzählenden Werke wurden mit
Bildern versehen, während der Koran mit höchster deko
rativer Kunst ansgestaltet wurde. Zahlreiche Quellen
bezeugen, daß schon in der Frühzeit, unter der Herrschaft
der Umaijjaden (661—750) und der ersten Abbasiden
(Mit 750) die Buchkunst gepflegt wurde. Obwohl alle diese
Werke in den Völkerstürmen der folgenden Jahrhunderte
vernichtet wurden, sind wir dennoch imstande, eine Vor
stellung von ihrem Wesen zu gewinnen. Denn wir kennen