1. Gesetzliche Bestimmungen.
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Statut für das Taubstummen-Institut in Wien. Eigenschaft des Instituts
und Erhaltung desselben.
§. 1. Das Taubstummen-Institut in Wien ist eine dem Gebiete der Volks- und
Bürgerschulen angehörige öffentliche Lehr- und Erziehungsanstalt, und vermöge seiner
ursprünglichen Gründung fortan berechtigt, das Prädicat „kaiserlich-königlich” zu führen,
Der Kostenaufwand für dieses Institut ist, in so lange nicfit weitere Anordnungen
getroffen werden, durch Vertheilung auf die Verpflegskosten der darin untergebrachten Zöglinge
unter Mitwirkung des freien Instituts-Vermögens zu bestreiten. lieber das Verhältniss und
Ausmass dieser Mitwirkung entscheidet der Unterrichts-Minister.
Der Staat hetheiligt sich an der Erhaltung des Institutes nur durch Fortführung
einiger Stiftplätze, beziehungsweise durch die Zahlung der für dieselben entfallenden Ver
pflegskosten. Die Zahl der Aerarial-Stiftungsplätze beträgt gegenwärtig 20; sie kann jedoch
vom Unterrichts-Minister so weit vermindert werden, als es das freie Instituts-Vermögen,
Beiträge des Landes oder neue Privatstiftungen für Aufnahme von Zöglingen gestatten.
Der bisherige Gehalt des Religionslehrers, zugleich Seelsorgers, wird aus dem Religions-
fonde bestritten.
Zweck des Instituts.
§. 2. Das Institut hat den Zweck, gehör- und sprachlosen Kindern beiderlei Ge
schlechtes die nöthige Erziehung, und den zu ihrer praktischen Befähigung im Lehen
erforderlichen Unterricht zu verschaffen, ferner den Candidaten für das Lehramt an Volks
schulen, sowie den angehenden Religionslehrern dieser Schulen durch besondere Lehrcurse
die Gelegenheit zu bieten, mit der Taubstummen-Unterrichts-Methode sich genau bekannt
zu machen.
Die Organisation dieser Lehrcurse wird nach Anhörung der Landes-Schulbehörde
vom Unterrichts-Minister festgesetzt.
Personalstand.
§. 3. Der Personalstand des Institutes besteht aus: dem Director, dem Religions
lehrer, zugleich Seelsorger des Institutes, und sieben Lehrern, welche zusammen den Lehr
körper bilden; ferner aus zwei Stipendisten (mit Stipendien betheilten Lehramts-Candidaten)
und den erforderlichen Dienstpersonen.
Unterricht.
§. 4. Die Bildungszeit der Instituts-Zöglinge dauert acht Jahre.
§. 5. Lehrgegenstände sind: Religion, Laut- und Schriftsprache, Lesen, Schreiben,
Rechnen, Zeichnen, Erd- und Vaterlandskunde, Naturgeschichte, Naturlehre, Gewerbe
kunde, Turnen.
Bei den weiblichen Zöglingen tritt eine ihren Verhältnissen entsprechende Unter
weisung und Uebung in weiblichen Handarbeiten und häuslichen Verrichtungen hinzu.
§. 6. Der Unterricht wird in acht Classen ertheilt. In den untern vier Classen
dürfen nicht mehr als je zwölf, in den oberen Classen nicht mehr als je zwanzig Zöglinge
gemeinschaftlich unterrichtet werden.
§. 7. Der Lehrplan ist vom Lehrkörper unter Mitwirkung des k. k. Landes-Schul
inspectors zu vereinbaren, und durch die Landes-Schulbehörde der Genehmigung des Unter
richts-Ministers zu unterziehen.
Die Studieneintheilung und die Hausordnung werden auf Grund der Anträge
des Lehrkörpers von der Landes-Schulbehörde festgesetzt.
§. 8. Mindestens einmal im Monate hat der Lehrkörper zu einer Conferenz zu
sammenzutreten.
Gegenstand der Conferenz sind alle die Interessen des Institutes berührenden Ange
legenheiten, und insbesondere die Wahrnehmungen über die Erziehung und die Fortschritte
der einzelnen Zöglinge. Den Vorsitz in der Conferenz führt der Director, und im Falle
seiner Verhinderung der rangälteste Lehrer.
Die über die einzelnen Sitzungen aufzunehmenden Protocolle sind jedesmal längstens
hinnen acht Tagen nach abgehaltener Conferenz der Landes-Schulbehörde vorzulegen.