1. Geschichte und Einrichtung. 17
Die Aufnahme und Entlassung der Aufsichtspersonen, sowie die Befugniss, sich
von deren Befähigung zu überzeugen, war ganz den Privatvereinen oder Privat
personen überlassen. Diese glaubten aber meist, genug gethan zu haben, wenn
sie ein nothdürftig entsprechendes Local eingerichtet und eine sogenannte Be
wahrerin bestellt hatten, bei welch letzterer man es, wenn sie nur fromm,
freundlich und geduldig war, mit den übrigen Anforderungen nicht eben strenge
nahm. Einer solchen Person fehlte dann gewöhnlich die tiefere Auffassung des
Wesens und Lebens der ihrer Obhut an vertrauten Zöglinge.
Die meist sehr beschränkten, durch Jahresbeiträge wohlthätiger Gemeinde
oder Vereinsmitglieder herbeigeschafften Subsistenzmittel erlaubten keine allzu
grossen Opfer, es fehlte darum auch an zweckmässigen Spielen und Beschäfti
gungen. Die wenigen an Kinder-Bewahranstalten eingeführten Beschäftigungen V
wurden nicht geistig anregend, auf Selbstthätigkeit abzielond, betrieben; Aus
füllung der Zeit und nicht Anregung und Entwicklung der kindlichen Kräfte
war dabei der Hauptzweck. Biblische Geschichte bildete und bildet den Haupt
gegenstand der Unterhaltung, oder die sogenannten Kleinkinder-Lehrerinnen unter
richteten die 4—5jährigen Zöglinge im Lesen, Schreiben und Rechnen, eine für
die Schule um so unwillkommenere Vorbereitung, als durch dieselbe der Geist
der Kinder verkrüppelt und diesen das spätere Schulleben im Voraus verleidet
wurde.
Endlich aber leiden die bestehenden Bewahranstalten an Ueberfüllung
und die Anzahl der beaufsichtigenden Personen steht nur in wenigen Fällen in
einem richtigen Verhältnisse zur Zahl der zu überwachenden Kinder. Auf
fallend ungünstig stellt sich nach den vorliegenden statistischen Ausweisen dieses
Verhältniss in Wien heraus, wo in 20 Anstalten 3710 Kinder von 60 Personen,
also durchschnittlich 62 Kinder von einer Person, beaufsichtigt werden. Da
jedoch nach unserer Erfahrung in den alljährlich abzuliefernden Berichten in die
Rubrik „Lehr- und Aufsichtspersonale” häufig auch die das Beaufsichtigungs-
Comite bildenden Vorstandsmitglieder einbezogen werden,') so darf die Behaup
tung nicht als übertrieben angesehen werden, dass mitunter mehr als hundert
Kinder der Leitung und Beaufsichtigung Einer Person überwiesen sind. Wie
sollte es aber möglich sein, dass eine einzige Person, besässe dieselbe auch die
nöthige Bildung und den erforderlichen pädagogischen Tact, hundert Kinder auf
den verschiedenen Altersstufen von drei bis sechs Jahren gleichzeitig körperlich
und geistig bildend beschäftige?
Die Anstalten für Kinder des Vorschulalters können erst dann wahrhaft
segenbringend wirken, wenn in denselben für die Leibes- und Geisteserziehung
gleichmässig und in einer dem Alter der Kinder vollkommen entsprechenden
') Als Beleg hiefür diene die Angabe in einem solchen Ausweise aus einer Kinder -Bewahr-
anstalt in Wien, dass die Kinderzahl 280 betrage und das Lehr- und Aufsiehts-Personale aus
12 Individuen bestehe, oder aus einem Krnnlande, wo an einer Anstalt l Personen 61 Kinder
beaufsichtigen sollen.
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