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Volltext: Bericht über österreichisches Unterrichtswesen, aus Anlass der Weltausstellung 1873, I. Theil: Geschichte, Organisation und Statistik des österreichischen Unterrichtswesens

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Hess. 
pflegt werden, auch ihre fernere Entwicklung auf den Akademieen zu suchen 
hätten. Der Unterricht in der lateinischen Sprache, wesentlich verbessert und 
ausschliessend auf die Lecture classischer Schriftsteller basirt, sollte zwar noch 
immer den Mittelpunct der Lehrgegenstände bilden, aber auch die griechische 
Sprache in den Kreis derselben eintreten und die deutsche Sprache einen weiteren 
Zweig bilden, welcher, ohne dogmatische Bearbeitung, die bisher Oesterreich fast 
fremd gebliebenen Schätze der sich entwickelnden deutschen Literatur der 
Jugend zuzuführen hätte. Selbst einer noch späteren Zeit voraneilend, schlug 
Hess auch die Aufnahme der cechischen, polnischen und magyarischen Sprache 
in den Gymnasial - Unterricht vor, soweit dieselben die Muttersprache der 
Mehrzahl von Schülern eines Gymnasiums bilden. 
Naturwissenschaften (bis zur Anatomie und Physiologie des Menschen) und 
Mathematik (bis zur Mechanik und Architektur fortschreitend) hätten sich den 
Sprachfächern anzuschliessen. Für den geographischen Elementar-Unterricht 
wäre die Reisemethode zu wählen. Die Geschichte, zuerst biographisch, dann 
geographisch und ethnographisch, endlich synchronistisch behandelt, sollte als 
exemplificirte Sittenlehre dem religiös-moralischen, auf Heranbildung der Jugend 
zu tüchtigen Menschen, Christen und Bürgern, auf „männliche Gottesfurcht” ab 
zielenden Unterrichte die Hand bieten, welcher an die Spitze aller Lehrgegen 
stände zu stellen sei. Die modernen Sprachen wurden unter dem Gesichtspuncte 
propädeutischer Aesthetik aufgefasst, das Zeichnen als freier Gegenstand be 
trachtet, die Gymnastik als frommer Wunsch bezeichnet. 
Hess wollte aber auch der Lehrerbildung eine vorzügliche Sorge gewidmet 
wissen. Statt der Classenlehrer sollten Fachlehrer eingeführt werden; jeder Candidat 
müsse eine gründliche philologische Bildung und die specielle Kenntniss eines an 
deren Lehrfachs besitzen. Ueber Encyklopädie und Methodologie der Gymnasial 
fächer werden an jeder Universität ordentliche Vorlesungen gehalten, überdicss aber 
die Candidaten, welche im Falle der Dürftigkeit Stipendien gemessen, zu „ge 
lehrten Cercles” vereinigt und zur möglichst freien Benützung der Bibliotheken 
des Staates, der geistlichen Corporationen oder privater Mäcenaten zugelassen. 
Die Lehramtsprüfung beabsichtigt die Erforschung der gesammten didaktischen 
und wissenschaftlichen Befähigung der Examinanden in dialektischer Form auf 
Grundlage ihrer eigenen Dissertationen. 
Um das Wesen und die Bedeutung der neuen Organisirung allgemein ver 
ständlich zu machen und weiter auszubilden, sollte endlich ein pädagogisches 
Wochenblatt unter dem Titel „Beiträge zum Schulwesen” als officielle Publication 
an das Licht treten. Als Frucht des neuen Geistes, welcher durch diese Ein 
richtungen allmälig in die Lehrerwelt kommen musste, erwartete Hess die 
Abfassung besserer Schulbücher. Ohne die Nothwendigkeit jeder thunlichen 
Ersparnis» für den österreichischen Staatshaushalt zu verkennen, hielt er an 
dem Grundsätze fest, dass ungerechtfertigte Sparsamkeit auf dom Gebiete des 
öffentlichen Unterrichts am Ende wahre Armuth nach sich ziehen muss.
	        
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