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Hess.
pflegt werden, auch ihre fernere Entwicklung auf den Akademieen zu suchen
hätten. Der Unterricht in der lateinischen Sprache, wesentlich verbessert und
ausschliessend auf die Lecture classischer Schriftsteller basirt, sollte zwar noch
immer den Mittelpunct der Lehrgegenstände bilden, aber auch die griechische
Sprache in den Kreis derselben eintreten und die deutsche Sprache einen weiteren
Zweig bilden, welcher, ohne dogmatische Bearbeitung, die bisher Oesterreich fast
fremd gebliebenen Schätze der sich entwickelnden deutschen Literatur der
Jugend zuzuführen hätte. Selbst einer noch späteren Zeit voraneilend, schlug
Hess auch die Aufnahme der cechischen, polnischen und magyarischen Sprache
in den Gymnasial - Unterricht vor, soweit dieselben die Muttersprache der
Mehrzahl von Schülern eines Gymnasiums bilden.
Naturwissenschaften (bis zur Anatomie und Physiologie des Menschen) und
Mathematik (bis zur Mechanik und Architektur fortschreitend) hätten sich den
Sprachfächern anzuschliessen. Für den geographischen Elementar-Unterricht
wäre die Reisemethode zu wählen. Die Geschichte, zuerst biographisch, dann
geographisch und ethnographisch, endlich synchronistisch behandelt, sollte als
exemplificirte Sittenlehre dem religiös-moralischen, auf Heranbildung der Jugend
zu tüchtigen Menschen, Christen und Bürgern, auf „männliche Gottesfurcht” ab
zielenden Unterrichte die Hand bieten, welcher an die Spitze aller Lehrgegen
stände zu stellen sei. Die modernen Sprachen wurden unter dem Gesichtspuncte
propädeutischer Aesthetik aufgefasst, das Zeichnen als freier Gegenstand be
trachtet, die Gymnastik als frommer Wunsch bezeichnet.
Hess wollte aber auch der Lehrerbildung eine vorzügliche Sorge gewidmet
wissen. Statt der Classenlehrer sollten Fachlehrer eingeführt werden; jeder Candidat
müsse eine gründliche philologische Bildung und die specielle Kenntniss eines an
deren Lehrfachs besitzen. Ueber Encyklopädie und Methodologie der Gymnasial
fächer werden an jeder Universität ordentliche Vorlesungen gehalten, überdicss aber
die Candidaten, welche im Falle der Dürftigkeit Stipendien gemessen, zu „ge
lehrten Cercles” vereinigt und zur möglichst freien Benützung der Bibliotheken
des Staates, der geistlichen Corporationen oder privater Mäcenaten zugelassen.
Die Lehramtsprüfung beabsichtigt die Erforschung der gesammten didaktischen
und wissenschaftlichen Befähigung der Examinanden in dialektischer Form auf
Grundlage ihrer eigenen Dissertationen.
Um das Wesen und die Bedeutung der neuen Organisirung allgemein ver
ständlich zu machen und weiter auszubilden, sollte endlich ein pädagogisches
Wochenblatt unter dem Titel „Beiträge zum Schulwesen” als officielle Publication
an das Licht treten. Als Frucht des neuen Geistes, welcher durch diese Ein
richtungen allmälig in die Lehrerwelt kommen musste, erwartete Hess die
Abfassung besserer Schulbücher. Ohne die Nothwendigkeit jeder thunlichen
Ersparnis» für den österreichischen Staatshaushalt zu verkennen, hielt er an
dem Grundsätze fest, dass ungerechtfertigte Sparsamkeit auf dom Gebiete des
öffentlichen Unterrichts am Ende wahre Armuth nach sich ziehen muss.