188
Realschul- Reform.
Mit dem Jahre 1857 schloss die Thätigkeit der Regierung für die Errich
tung neuer Realschulen für eine Zeit lang ah. 1 ) Mit verdoppeltem Eifer
wendeten sich aber die Communen dieser Thätigkeit zu, zumal die neugestalteten
Verkehrs^ Verhältnisse besonders in jenen Jahren das Gefühl der Ueberflüglung
des österreichischen Gewerbfleisses durch den ausländischen und der Lnentbchr-
lichkeit höherer Bildung der producirenden Stände täglich lebhafter autdrängten.
Im nächsten Quinquennium entstanden abermals 10 Communal-Realsehulen nebst
zwei das Oeffentlichkeitsrecht geniessenden Privat-Anstalten. Während bisher
fast nur die Landeshauptstädte solche Anstalten besassen, verbreiteten sie sich
jetzt auch ausserhalb jener Orte. 2 )
Auch fand die Realschule ein Organ zur Verständigung der Lehrerwelt
über Eragen der Pädagogik und Didaktik, welche bisher nur in Schul-Program-
men hauptsächlich durch J. Weiser unermüdet erörtert worden waren, an
der von E. Hornig begründeten, von W. Warhanek fortgeführten Zeit
schrift, welche sofort die Debatte über eine Realschul-Reform durch Beseiti
gung des fachlichen Ballastes und Erweiterung der allgemein bildenden Ele
mente eröffnete und in zahlreichen Aufsätzen über Detailfragen der Ueber-
zeugung von der Unhaltbarkeit des Statuts allmälig Bahn biach.
Das Wort „Annäherung an das Gymnasium” wurde in der Zeitschrift
zuerst ausgesprochen und mit grosser Lebhaftigkeit von den Realschul-Leln ern
Wiens der Gedanke ergriffen, im Verein „Mittelschule” den Gymnasial-Lehrern
näher zu treten. Der erste wissenschaftliche Vortrag des Vereins galt der
Realschule, die erste äussere Thätigkeit desselben, die Denkschrift an das Ab
geordnetenhaus, formulirte bereits in bestimmt abgegränzten Puncten die wichtig
sten Forderungen für die Reorganisation der österreichischen Realschulen. Als
die Zeitschrift im Jahre 1863 erlosch, bemächtigte sich um so lebhafter die
„Mittelschule” der Reform-Debatte und führte sie in einer langen, eingehen
den Verhandlung im Jahre 1864 durch. 3 )
Schon war auch die Frage der Reorganisation der Realschulen nicht mehr
auf den Kreis der fachmännischen Discussion beschränkt, die Errichtung zahl
reicher gewerblicher und commercieller Schulen hatte die K othwendigkeit ge
mindert, in der Realschule einen Ersatz für solche Anstalten zu suchen, und
das Bedürfniss, auch den producirenden Ständen die Bahn einer hohem allge
meinen Bildung zu eröffnen und die Kluft zwischen ihnen und den durch clas-
sische Studien Erzogenen zu überbrücken, machte sich immer lebhafter geltend.
1) Nur zu Tarnopol wurde noch eine Unter-Realschule, zu Görz eine vollständige Realschule
begründet.
2) Jene waren die vollständigen Realschulen zu Pisek und Kuttenberg in Böhmen, die Unter-
Realschulen in der Rossau zu Wien, zu Leoben (Steiermark), Triest (Küstenland), Feldkirch (Vorarl
berg), Brünn, Iglau und Sternberg (Mähren), Sniatyn (Galizien). Privat-Anstalten entstanden un
1. und IX. (später VIII.) Bezirke von Wien.
3) Auch die Veröffentlichung dieser Verhandlungen brachte eine Reihe für den öslerreichischen
Lehrerstand höchst ehrenvoller gründlicher Erörterungen in das Publicum.