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Misserfolge des Systems.
Semester auferlegt, das niedere chirurgische Studium 1 ) auf 3 Jahre
(I. allgemeine Einleitung, Botanik, Physik, Chemie, Anatomie; II. Physio
logie, allgemeine Pathologie und Therapie, materia medica, Geburtshilfe,
Thierarzneikunde; III. specielle medieinische und chirurgische Pathologie
und Therapie, Operationslehre, Praxis am Krankenbette, Augenheilkunde,
gerichtliche Arzneikunde), das pharmaceutische auf 2 Jahre (I. Natur
geschichte, II. Chemie und Pharmacie) erweitert-), die Abhaltung von Vor
trägen über Rettungsmittel neuerdings verfügt, jene von Vorlesungen über
Diätetik, Krankenpflege, Zahn - Heilkunde, Krauen- und Kinder-Krank-
heiten u. s. w. begünstigt, das Eigorosenwesen bezüglich des Doctorats
und des Magisteriums der Chirurgie, der Diplomirung von Augenärzten
und Accoucheurs neu geordnet wurde ;
ß) die Reorganisirung und Erweiterung des Wiener Thierarznei-Instituts
(1824), welches sowohl zur Ausbildung von Aerzten und Chirurgen zu eigent
lichen Veterinärs, als auch von gelernten Hufschmieden zu Kurschmieden
bestimmt war, überdiess einen Hnterricht für Beschlagschmiede, für Vieh
beschauer, für Landwirthe, für Gestütsbeamte, für Hirten, für Bereiter u. dgl.
ertheilte und mit einem Thierspitale in Verbindung stand;
?) die Errichtung des pathologische Museums in Wien (1829), mit Vor
trägen über pathologische Anatomie u. s. f. 3 );
S) die Einrichtung eines vollständigen medicinisch-chirurgischen und eines
niedern chirurgischen Studiums an der Wiener Josephs-Akademie für
Militär-Zöglinge, mit der facultas promovendi (1822).
Wenn aber auch das seit 1802 und 1804 geschaffene Universitätssystem
im Allgemeinen fortbestand, verschloss man sich doch der Erkenntniss seiner
unheilvollen Wirkungen, namentlich seit dem Schlüsse des dritten Decenniums
unseres Jahrhunderts, nicht ganz. 4 ) Die nur durch ausgebreiteten Schmuggel
gemilderte geistige Absperrung gegen den vorgeschrittenen Westen, die offen
ausgesprochene Missachtung der Wissenschaft und ihrer Lehrer von Seite vieler
1) Aufnahmswerber des chirurgischen und des pharmaceutisehen Studiiim’s mussten sich über
die absolvirten Grammaticalclassen, die letzteren überdiess über die ordnungsmässige Er
lernung der Pharmacie und eine vierjährige Servirzeit ausweisen. In das chirurgische Studium konnten
aber auch solche Jünglinge Aufnahme finden, welche nach der dritten Hauptschul-Classe durch drei
Jahre bei einem bürgerlichen Wundarzte in der Lehre standen oder zwei Jahre eine Vorbereitungs
schule der barmherzigen Brüder als Novizen des Ordens besuchten.
2) Adspiranten des Magisteriums der Chirurgie mussten den III., jene des Doctorats der Chemie
den II. Jahrgang ihres Studiums wiederholen; beide hatten sich über die vorangegangene Absolvirung
der Huinanilats-Gassen auszuweisen.
5) Doch wurde erst im Jahre 1844- das Lehrfach der pathologischen Anatomie für obligat erklärt.
4) Selbst ein literarischer Vorkämpfer der politischen Reaction, Jarke, schrieb: „Der Geist
der Wissenschaft hatte von den hohen Schulen dieses Landes Abschied genommen und seit Menschen
gedenken in der Jurisprudenz, wie in der Theologie, kein österreichischer Professor einen deutschen,
geschweige denn einen europäischen Namen gehabt. Der Ruf der meisten Universitätsgelehrten war
nicht über die Bannmeile ihres Aufenthaltsorts hinausgedrungen."