Anfänge der Reform.
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Das Bedürfnis« einer Reform wurde namentlich seit 1860 in weiten Kreisen
gefühlt. Der böhmische Landesansschuss konnte ohne Gefahr der Widerlegung
aussprechen, dass eine Hochschule welche Vielerlei zu lernen zwinge,
nur Halbwisser bilde, die erst in der Praxis mit Mühe nachholen müssten,
was sie brauchten, und den angesammelten Ballast über Bord zu werfen hät
ten. Die encyklopädische Bildung des Technikers genügte nicht mehr, man
bedurfte auch in Oesterreich der Fachschulen, deren System sich fast auf dem
ganzen Continente (Stuttgart, Paris, Dresden, Lüttich, Karlsruhe, Zürich) rasch
eingebürgert hatte, deren Zöglinge innerhalb Oesterreichs mit Zurückschiebung
der Einheimischen die hervorragendsten technischen Posten einnahmen. Unter
den Männern, welche sich in hervorragender Weise an den Reformbestrebungen
betheiligten, sind vor Allem die Professoren J. Herr, A. Winkler und K.
Kofistka zu nennen.
Endlich kam im Jahre 1863 das neue organische Statut für Prag
zu Stande, bald folgte ein solches für Gr atz und Wien 1 ); die Activirung der
neuen Lehrpläne verzog sich aber bis in die Jahre 1865—1867. Alle drei In
stitute zerfielen fortan in Fachschulen, denen in Wien und Gratz noch allge
meine Curse vorangingen. Die Studienpläne wurden im Allgemeinen für obli
gatorisch erklärt, Ausnahmen zugelasscn. Alle drei Institute erhielten die
volle Selbstverwaltung. Die Gehalte wurden wesentlich verbessert (für die
ordentlichen Professoren in Wien 2500 fl., in Prag 2000 fl., hier und dort mit
Decennal-Zulagen von je 500 fl., in Gratz 1600 fl. mit Zulagen von je 200 fl.,
für die ausserordentlichen in Wien 1500 fl., in Prag 1200 ■— 1400 fl., —
in Wien überdiess Quartiergelder von 400 fl. und 300 fl.), die Lehrkanzeln ver
mehrt, die Lehrmittel-Sammlungen reich dotirt. Für Brünn wurden vom Stu
dienjahre 1868 an vorläufig zwei Fachschulen systemisirt. 4 ) — Mit diesen
Reorgauisirungen verschwanden allmälig die Vorbereitung« - Jahrgänge, welche
vielfach missbraucht worden waren 3 ), und die commerciellen Abteilungen, an
deren Stelle selbstständige Anstalten von grösserem Umfange und praktischerer
Einrichtung traten.
Von den politischen Schwankungen wurden die technischen Hochschulen
minder berührt; aber dem Sprachenkampfe konnten auch sie sich nicht ent
ziehen. Die Krakauer Akademie war stets eine wesentlich polnische geblie
ben; nun wurde auch die Polonisirung der Lemberger in Angriff genommen
und namentlich seit 1871 energisch durchgeführt. In Prag Hess sich der
nationale Hader zwischen den beidsprachigen Professoren und Studirenden end
lich nur dadurch beschwichtigen, dass die kais. Entschliessung vom 18. April
1) Das Statut für Prag ifatirt vom 23. November 1863, jenes für Gratz vom 18. October 1864,
für Wien vom 18. October 1863,
2) Das Statut wurde mit kais. Entschliessung vom 8. Juli 1867 genehmigt.
3) Namentlich gelang es auf diesem Umwege Realschülern, welche in ihrem regelmässigen
Studiengange ScTiiffbrueh gelitten hatten, dennoch und zwar nicht selten vor ihren viel günstiger
classificirten ehemaligen Studiengenossen an ein technisches Institut zu gelangen.