VOM GUTEN UND SCHLECHTEN MÖBEL.
ie Elemente der Möbelformen, von denen folgendes
handelt, sollten eigentlich Gemeingut sein. Es ist
erstaunlich, wie wenig die Leute im allgemeinen
von den Dingen verstehen, die so notwendig zu ihrem
alltäglichen Leben gehören, wie die Wohnungseinriclv
tung. Daß sie möglichst effektvoll aussehe, ist alles, was
man von der schönen Wohnung verlangt. Die Fachleute
richten sich nach des Bestellers Wünschen und so verdirbt
einer den andern. In Schauladen, Ausstellungen und Wolnv
räumen bietet sich annähernd das gleiche Bild: ein größerer
oder geringerer Aufwand von gutem Material oder aber auch
echt scheinenden Surrogaten, glänzend und auf den äußeren
Schein berechnet, höchste Modernität und reichliche Putz^
macherei; alles ist sehr wirkungsvoll und doch im Grunde
genommen hündisch. Seit einigen Jahren, da sich die Künstler
der Sache angenommen, ist die Verwirrung heillos. Ihre
persönliche Eigenart wurde alsbald zur Mode, nachgeahmt
und schrecklich verzerrt, und dabei wurde das Wichtigste,
das sie auszeichnet, ihre Grundsätze einer organischen
Konstruktion, das einzige, das Gemeingut werden sollte,
übersehen.
Die van de Veldesche Linie kann man bei allen unpassem
den Gelegenheiten wiederfinden; dem Besteller gefällt es
und der Hersteller macht es, aber kein Mensch weiß, wozu
und warum?
Und doch ist das Wichtigste, zu wissen, wozu und warum
etwas so oder so gemacht wird, wenn ein anständiges Produkt
zu stände kommen soll. Die Tischler müßten arbeiten und
Maßnehmen wie der Schneider, und die Besteller müßten
nachdenken und mithelfen, das Rechte herauszufinden, auf
das Notwendige bedacht und auf seine vollkommenste Er^
füllung wie bei der Beschaffung ihrer Kleider; aber wieviele
sind, die wirklich so tun?
Was also soll geschehen, um das Rechte zu bekommen?
Angenommen, es handelt sich um die Herstellung eines
SCHREIBTISCHES. „Wollen Sie einen Schreibtisch mit
oder ohne Aufsatz, einen geraden oder einen halbkreis^
förmigen?" würde der Händler fragen. „Nußholz oder
Eichenholz, gebeizt oder poliert, lackiertes Weichholz oder
Mahagoni?" Ich erwidere, daß ein guter Schreibtisch
zunächst gar nicht davon abhängt, ob er gerade oder halb'
kreisförmig gebaut, gebeizt oder poliert ist. Viel wichtiger
zu wissen ist, welche Ansprüche die Art der Arbeit, die
am Schreibtisch verrichtet wird, an die Benützbarkeit
stellt. Der Schreibtisch einer Dame, die gelegentlich ein
Billett, der Schreibtisch eines Kaufmannes, der Rechnungen
schreibt, und der Schreibtisch eines Schriftstellers sind von
Natur aus wesentlich verschieden. Was also zunächst ent'
scheidet, ist die persönliche Beziehung des Schreibenden
zum Schreibtisch, nicht allein in bezug auf alles, was der
Schreibtisch aufzunehmen hat an Schriftstücken, Papieren,
Büchern und anderen Gegenständen, sondern auch in bezug
auf das menschliche Körpermaß, die für die Größenver'
hältnisse des Schreibtisches maßgebend sind. Der Schreibtisch
muß buchstäblich angemessen sein. Ich werde also dem
Handwerker, der den Schreibtisch auszuführen hat, eine
Zeichnung anfertigen, in der alles aufs Kleinste vorgesehen
ist. Jene, die sich nicht helfen können, müssen einen Archi'
tekten bitten, daß er Hebammendienste leiste, damit keine
Mißgeburt zutage käme. Bei der heutigen Lage der all'
gemeinen Kultur ist der Künstler, ich meine hier den Archi'
tekten, ganz unentbehrlich. Vielleicht wird er mit dem Fort'
schreiten der künstlerischen Bildung überflüssig, die jeden
befähigen sollte, das häusliche Um und Auf richtig zu ge'
stalten, ein Ziel aufs innigste zu wünschen. Beim Schreibtisch
also werde ich das Größenmaß in der Breite nach meinen
seitlich wagrecht ausgestreckten Armen, von Fingerspitze
zu Fingerspitze gemessen, in die Tiefe nach meinem wag'
recht vorgestreckten Arm, von der Fingerspitze bis in die
Achselhöhle gemessen, nehmen, weil alles auf dem Schreib'
tisch im Handbereich liegen muß.
Ist er größer, so wirkt er unförmlich, ist er kleiner, so ist
er unzulänglich. Die Höhe der Tischplatte wird nach dem
sitzenden und schreibenden Menschen genommen. Sodann
erfolgt die Bestimmung und Einteilung der erforderlichen
Laden und Fächer und deren Anordnung, alles nach Maß'
gäbe des persönlichen Bedürfnisses. Für den Aufsatz wird
entscheidend sein, ob und wieviel Papiersorten er aufzunehmen
hat, ob er eine Reihe Handbücher zu tragen hat und ob
der Besitzer gerne einige Blumen im Glase oder in einer
Vase auf demselben stehen hat. Ein seitlich herauszu'
schiebendes und unter der Tischplatte eingelassenes Brett
wird als Aufwärter unter Umständen gute Dienste leisten.
Die wichtigsten Konstruktionselemente sind nunmehr vor'
handen.
Es bedarf nur mehr eines guten Materials, guter, solider
Arbeit, und es ist kein weiterer Schmuck oder irgend
eine andere Kunst nötig, um ein brauchbares und schönes
Möbel zu erhalten. Die Schränke und Schreibtische sollen
entweder bis auf den Boden reichen und ohne Zwischen'
räume fest aufstehen oder sie sollen „fußfrei" sein, d. h.
auf Beinen stehen, die nicht unter 20 bis 25 Zentimeter
hoch sind. Es ist das Merkmal eines schlechten Möbels, wenn
es auf ganz kurzen Beinen steht, so daß kein Besen unten
durch kann, den Staub hervorzukehren. Die unkontrollier'
baren Schmutzwinkel sind zu vermeiden. Entweder die Beine
so hoch, daß man bis zur Wand sehen kann, was obendrein
ein Zimmer geräumiger erscheinen läßt, oder gar keine Beine,
weil sich unter einem massiv aufstehenden Möbel keine Staub'
Schicht bilden kann.
Zum Tisch gehört der Stuhl, also auch zum Schreib'
tisch. Sie bilden zusammen eine Einheit. Schreibtisch'
sessel werden mit Rücklehnen versehen, die nicht höher
reichen als zur Schreibtischplatte, also unter den Schulter'
blättern abschließen. Beim Speisetisch mag das ganz recht
sein, weil hohe Lehnen beim Servieren hinderlich sind, aber
beim Schreibtischsessel treten persönliche Ansprüche wieder
mehr in den Vordergrund. Wer es liebt, sich von Zeit zu
Zeit bequem zurückzulegen und dem Kopf eine Stütze zu
geben, wird sich ein Fauteuil bauen lassen müssen, wie sie
unsere Vorfahren kannten. Aber man achte darauf, daß die
Rücklehnen gerade verlaufen, damit der hohe Stuhl an die
Wand gerückt werden kann, ohne sie zu beschädigen oder
von ihr beschädigt zu werden. Die Polsterung mag der Rücken'
linie folgen.
Von aller Art Stühlen gilt das Gleiche. Wo die Rück'
lehne geschweift ist, greifen die Hinterbeine noch weiter
heraus, um an die Sesselleisten zu stoßen, um die Lehne
von der Wand abzuhalten. Wenn man von der Lehne rück'
wärts die Lotrechte fällt, so sollen die Hinterbeine mit dem
Fußende etwas über die Lotrechte herausgreifen.
Beim Speisetisch ist darauf zu sehen, daß man mit der Zarge
und den Tischbeinen nicht in Kollision kommt. Man rückt
die Tischbeine aus diesem Grunde gerne in der Mitte der
Tischplatte zusammen und erhöht die Standfestigkeit durch
eine angemessene Fußplatte, die alsdann mit Metall verkleidet
werden muß, damit man unbesorgt die eigenen Beine darauf'
stellen kann.
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HERREN KLEIDE RS CH RANK,
AMERIKANISCH.
OFFENER SCHRANK. GESCHLOSSENER SCHRANK.
Amerikanischer Herrenkleiderschrank (Auto Valet) mit automatischem
Kleiderträger, eigenen Fächern für Schuhe, Hüte, Manschettenbehälter (an
der inneren Türseite), Laden für Unterwäsche, Westen, Hemden, Kragen,
Handschuhe, Knöpfe, Toilettegegenstände, Zylinderbox, Spiegel, etc. etc.
Automatischer Kleider^
träger im obigen Herren-
schrank.
Vernickelte Stahl-
rahmen, die sich in
Angeln bewegen. Beim
Öffnen des Schrankes
gleitet der Kleiderträ-
ger selbsttätig heraus.
Was die innere Einteilung der KLEIDER- und WÄSCHE
SCHRÄNKE betrifft, so kann jeder Kammerdiener ein über
einstimmendes Zeugnis abgeben. Es ist sehr zu verwundern,
daß man fast nirgends ein Tischlererzeugnis dieser Art antrifft,
darin eine zweckmäßige Einteilung vorgesehen wäre. Ein
Raum, die eine Hälfte zum Hängen mit Kleiderhaken, die
andere zum Legen mit Querbrettern, das ist die allgemeine
primitive Einrichtung unserer Schränke. Sie ist natürlich
ganz ungenügend. Ein zweckmäßiger Herrenkleiderschrank
muß ein Fach zum Hängen der Röcke und ein noch höheres
Fach zum Hängen der ganz langen Kleidungsstücke vorsehen,
ferner Laden zum Legen der Westen und Hosen, unterhalb,
einige Fächer für die Hüte oberhalb des Rockfaches, für den
Wäscheschrank müssen eigene Fächer für die Kragen, für
die Manschetten, für Krawatten, für die Hemden und für die
sonstige Leibwäsche, alles in praktischer, übersichtlicher und
handgerechter Anordnung besitzen. Vergleiche auch den
amerikanischen Kleiderschrank, der mustergültig ist.
Bei Serviceschränken und den sogenannten Buffets ist gleich
falls zu fragen, was das Leben nötig hat, um den Raum
rationell auszunützen und Übersicht, Handlichkeit und
Ordnung in den Besitzstand zu bringen. Welche Art von
Servicen und für welche Personenanzahl sie unterzubringen
sind, muß genau vorherbestimmt sein, um eine Anordnung
zu treffen, die es ermöglicht, alles gesondert in Fächern zu
halten, die leicht den Händen erreichbar sind, die vollständige
Speise-, Tee-, Kaffeeservice etc., die Tischbestecke, die Tisch
wäsche, die Tischvasen und die sonstigen Tafelgegenstände
aus Glas, Porzellan und Silber, wobei aber nicht zu vergessen
ist, daß ein möglichst großer Plattenraum zum Anrichten
vorgesehen werden muß.
Soweit das kleine Einmaleins der Möbelformen.
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