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Inhaltsverzeichnis: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

VOM GUTEN UND SCHLECHTEN MÖBEL. 
ie Elemente der Möbelformen, von denen folgendes 
handelt, sollten eigentlich Gemeingut sein. Es ist 
erstaunlich, wie wenig die Leute im allgemeinen 
von den Dingen verstehen, die so notwendig zu ihrem 
alltäglichen Leben gehören, wie die Wohnungseinriclv 
tung. Daß sie möglichst effektvoll aussehe, ist alles, was 
man von der schönen Wohnung verlangt. Die Fachleute 
richten sich nach des Bestellers Wünschen und so verdirbt 
einer den andern. In Schauladen, Ausstellungen und Wolnv 
räumen bietet sich annähernd das gleiche Bild: ein größerer 
oder geringerer Aufwand von gutem Material oder aber auch 
echt scheinenden Surrogaten, glänzend und auf den äußeren 
Schein berechnet, höchste Modernität und reichliche Putz^ 
macherei; alles ist sehr wirkungsvoll und doch im Grunde 
genommen hündisch. Seit einigen Jahren, da sich die Künstler 
der Sache angenommen, ist die Verwirrung heillos. Ihre 
persönliche Eigenart wurde alsbald zur Mode, nachgeahmt 
und schrecklich verzerrt, und dabei wurde das Wichtigste, 
das sie auszeichnet, ihre Grundsätze einer organischen 
Konstruktion, das einzige, das Gemeingut werden sollte, 
übersehen. 
Die van de Veldesche Linie kann man bei allen unpassem 
den Gelegenheiten wiederfinden; dem Besteller gefällt es 
und der Hersteller macht es, aber kein Mensch weiß, wozu 
und warum? 
Und doch ist das Wichtigste, zu wissen, wozu und warum 
etwas so oder so gemacht wird, wenn ein anständiges Produkt 
zu stände kommen soll. Die Tischler müßten arbeiten und 
Maßnehmen wie der Schneider, und die Besteller müßten 
nachdenken und mithelfen, das Rechte herauszufinden, auf 
das Notwendige bedacht und auf seine vollkommenste Er^ 
füllung wie bei der Beschaffung ihrer Kleider; aber wieviele 
sind, die wirklich so tun? 
Was also soll geschehen, um das Rechte zu bekommen? 
Angenommen, es handelt sich um die Herstellung eines 
SCHREIBTISCHES. „Wollen Sie einen Schreibtisch mit 
oder ohne Aufsatz, einen geraden oder einen halbkreis^ 
förmigen?" würde der Händler fragen. „Nußholz oder 
Eichenholz, gebeizt oder poliert, lackiertes Weichholz oder 
Mahagoni?" Ich erwidere, daß ein guter Schreibtisch 
zunächst gar nicht davon abhängt, ob er gerade oder halb' 
kreisförmig gebaut, gebeizt oder poliert ist. Viel wichtiger 
zu wissen ist, welche Ansprüche die Art der Arbeit, die 
am Schreibtisch verrichtet wird, an die Benützbarkeit 
stellt. Der Schreibtisch einer Dame, die gelegentlich ein 
Billett, der Schreibtisch eines Kaufmannes, der Rechnungen 
schreibt, und der Schreibtisch eines Schriftstellers sind von 
Natur aus wesentlich verschieden. Was also zunächst ent' 
scheidet, ist die persönliche Beziehung des Schreibenden 
zum Schreibtisch, nicht allein in bezug auf alles, was der 
Schreibtisch aufzunehmen hat an Schriftstücken, Papieren, 
Büchern und anderen Gegenständen, sondern auch in bezug 
auf das menschliche Körpermaß, die für die Größenver' 
hältnisse des Schreibtisches maßgebend sind. Der Schreibtisch 
muß buchstäblich angemessen sein. Ich werde also dem 
Handwerker, der den Schreibtisch auszuführen hat, eine 
Zeichnung anfertigen, in der alles aufs Kleinste vorgesehen 
ist. Jene, die sich nicht helfen können, müssen einen Archi' 
tekten bitten, daß er Hebammendienste leiste, damit keine 
Mißgeburt zutage käme. Bei der heutigen Lage der all' 
gemeinen Kultur ist der Künstler, ich meine hier den Archi' 
tekten, ganz unentbehrlich. Vielleicht wird er mit dem Fort' 
schreiten der künstlerischen Bildung überflüssig, die jeden 
befähigen sollte, das häusliche Um und Auf richtig zu ge' 
stalten, ein Ziel aufs innigste zu wünschen. Beim Schreibtisch 
also werde ich das Größenmaß in der Breite nach meinen 
seitlich wagrecht ausgestreckten Armen, von Fingerspitze 
zu Fingerspitze gemessen, in die Tiefe nach meinem wag' 
recht vorgestreckten Arm, von der Fingerspitze bis in die 
Achselhöhle gemessen, nehmen, weil alles auf dem Schreib' 
tisch im Handbereich liegen muß. 
Ist er größer, so wirkt er unförmlich, ist er kleiner, so ist 
er unzulänglich. Die Höhe der Tischplatte wird nach dem 
sitzenden und schreibenden Menschen genommen. Sodann 
erfolgt die Bestimmung und Einteilung der erforderlichen 
Laden und Fächer und deren Anordnung, alles nach Maß' 
gäbe des persönlichen Bedürfnisses. Für den Aufsatz wird 
entscheidend sein, ob und wieviel Papiersorten er aufzunehmen 
hat, ob er eine Reihe Handbücher zu tragen hat und ob 
der Besitzer gerne einige Blumen im Glase oder in einer 
Vase auf demselben stehen hat. Ein seitlich herauszu' 
schiebendes und unter der Tischplatte eingelassenes Brett 
wird als Aufwärter unter Umständen gute Dienste leisten. 
Die wichtigsten Konstruktionselemente sind nunmehr vor' 
handen. 
Es bedarf nur mehr eines guten Materials, guter, solider 
Arbeit, und es ist kein weiterer Schmuck oder irgend 
eine andere Kunst nötig, um ein brauchbares und schönes 
Möbel zu erhalten. Die Schränke und Schreibtische sollen 
entweder bis auf den Boden reichen und ohne Zwischen' 
räume fest aufstehen oder sie sollen „fußfrei" sein, d. h. 
auf Beinen stehen, die nicht unter 20 bis 25 Zentimeter 
hoch sind. Es ist das Merkmal eines schlechten Möbels, wenn 
es auf ganz kurzen Beinen steht, so daß kein Besen unten 
durch kann, den Staub hervorzukehren. Die unkontrollier' 
baren Schmutzwinkel sind zu vermeiden. Entweder die Beine 
so hoch, daß man bis zur Wand sehen kann, was obendrein 
ein Zimmer geräumiger erscheinen läßt, oder gar keine Beine, 
weil sich unter einem massiv aufstehenden Möbel keine Staub' 
Schicht bilden kann. 
Zum Tisch gehört der Stuhl, also auch zum Schreib' 
tisch. Sie bilden zusammen eine Einheit. Schreibtisch' 
sessel werden mit Rücklehnen versehen, die nicht höher 
reichen als zur Schreibtischplatte, also unter den Schulter' 
blättern abschließen. Beim Speisetisch mag das ganz recht 
sein, weil hohe Lehnen beim Servieren hinderlich sind, aber 
beim Schreibtischsessel treten persönliche Ansprüche wieder 
mehr in den Vordergrund. Wer es liebt, sich von Zeit zu 
Zeit bequem zurückzulegen und dem Kopf eine Stütze zu 
geben, wird sich ein Fauteuil bauen lassen müssen, wie sie 
unsere Vorfahren kannten. Aber man achte darauf, daß die 
Rücklehnen gerade verlaufen, damit der hohe Stuhl an die 
Wand gerückt werden kann, ohne sie zu beschädigen oder 
von ihr beschädigt zu werden. Die Polsterung mag der Rücken' 
linie folgen. 
Von aller Art Stühlen gilt das Gleiche. Wo die Rück' 
lehne geschweift ist, greifen die Hinterbeine noch weiter 
heraus, um an die Sesselleisten zu stoßen, um die Lehne 
von der Wand abzuhalten. Wenn man von der Lehne rück' 
wärts die Lotrechte fällt, so sollen die Hinterbeine mit dem 
Fußende etwas über die Lotrechte herausgreifen. 
Beim Speisetisch ist darauf zu sehen, daß man mit der Zarge 
und den Tischbeinen nicht in Kollision kommt. Man rückt 
die Tischbeine aus diesem Grunde gerne in der Mitte der 
Tischplatte zusammen und erhöht die Standfestigkeit durch 
eine angemessene Fußplatte, die alsdann mit Metall verkleidet 
werden muß, damit man unbesorgt die eigenen Beine darauf' 
stellen kann. 
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HERREN KLEIDE RS CH RANK, AMERIKANISCH. OFFENER SCHRANK. GESCHLOSSENER SCHRANK. Amerikanischer Herrenkleiderschrank (Auto Valet) mit automatischem Kleiderträger, eigenen Fächern für Schuhe, Hüte, Manschettenbehälter (an der inneren Türseite), Laden für Unterwäsche, Westen, Hemden, Kragen, Handschuhe, Knöpfe, Toilettegegenstände, Zylinderbox, Spiegel, etc. etc. Automatischer Kleider^ träger im obigen Herren- schrank. Vernickelte Stahl- rahmen, die sich in Angeln bewegen. Beim Öffnen des Schrankes gleitet der Kleiderträ- ger selbsttätig heraus. Was die innere Einteilung der KLEIDER- und WÄSCHE SCHRÄNKE betrifft, so kann jeder Kammerdiener ein über einstimmendes Zeugnis abgeben. Es ist sehr zu verwundern, daß man fast nirgends ein Tischlererzeugnis dieser Art antrifft, darin eine zweckmäßige Einteilung vorgesehen wäre. Ein Raum, die eine Hälfte zum Hängen mit Kleiderhaken, die andere zum Legen mit Querbrettern, das ist die allgemeine primitive Einrichtung unserer Schränke. Sie ist natürlich ganz ungenügend. Ein zweckmäßiger Herrenkleiderschrank muß ein Fach zum Hängen der Röcke und ein noch höheres Fach zum Hängen der ganz langen Kleidungsstücke vorsehen, ferner Laden zum Legen der Westen und Hosen, unterhalb, einige Fächer für die Hüte oberhalb des Rockfaches, für den Wäscheschrank müssen eigene Fächer für die Kragen, für die Manschetten, für Krawatten, für die Hemden und für die sonstige Leibwäsche, alles in praktischer, übersichtlicher und handgerechter Anordnung besitzen. Vergleiche auch den amerikanischen Kleiderschrank, der mustergültig ist. Bei Serviceschränken und den sogenannten Buffets ist gleich falls zu fragen, was das Leben nötig hat, um den Raum rationell auszunützen und Übersicht, Handlichkeit und Ordnung in den Besitzstand zu bringen. Welche Art von Servicen und für welche Personenanzahl sie unterzubringen sind, muß genau vorherbestimmt sein, um eine Anordnung zu treffen, die es ermöglicht, alles gesondert in Fächern zu halten, die leicht den Händen erreichbar sind, die vollständige Speise-, Tee-, Kaffeeservice etc., die Tischbestecke, die Tisch wäsche, die Tischvasen und die sonstigen Tafelgegenstände aus Glas, Porzellan und Silber, wobei aber nicht zu vergessen ist, daß ein möglichst großer Plattenraum zum Anrichten vorgesehen werden muß. Soweit das kleine Einmaleins der Möbelformen. 113
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