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Volltext: Heinrich Freiherr von Ferstel

daran geknüpften Untersuchungen auszeichnete, hätte es dem Zuhörer nicht entgehen 
können, dass ein tiefes Interesse an dem Gegenstände den Vortrag bei diesem Ab 
schnitte besonders belebte und erwärmte. 
Die Kunst der Renaissance, welche den letzten Theil seiner Vorlesungen 
bildete, gab ihm Gelegenheit, die Aufgaben der modernen Baukunst in den Kreis 
seiner Betrachtungen zu ziehen. Besonders eingehende Behandlung fand dabei der 
Bau des bürgerlichen Wohnhauses, den auf eine rationelle Grundlage zurückzuführen 
Ferstel, in Uebereinstimmung mit seinen Reformbestrebungen auf diesem Gebiete, 
als eine der wichtigsten Aufgaben des modernen Architekten hinstellte. 
Ferstel liebte es, seinen Vorträgen den Reiz der Actualität zu verleihen. 
Bei Cornelius’ Tode widmete er dem dahingeschiedenen Meister einen begeisterten 
Nachruf, der die ganze Stunde ausfüllte. Ebenso beim Tode Viollet-le-Ducs und 
Sempers. Wenn er von grösseren Studienreisen zurückkehrte, bildeten seine Reise 
eindrücke nicht selten den Stoff für mehrere Vorlesungen; die Wiener Weltausstellung, 
die Vollendung des Kölner Doms u. a. m. fanden in seinen Vorträgen volle Würdigung. 
Mit diesen Unterbrechungen seiner eigentlichen Lehrvorträge verband Ferstel die 
Absicht, das Interesse seiner Schüler auf wichtige Vorkommnisse der Gegenwart hin 
zulenken und ihren Gesichtskreis über die Mauern des Lehrsaales hinaus zu erweitern. 
Den zweiten und wichtigeren Theil seiner Lehrthätigkeit bildeten die von 
Ferstel geleiteten Uebungen im Entwerfen. Auch hier war es sein oberster Grund 
satz, nicht vorschnell abzuurtheilen und einer selbständigen Auffassung schonungsvoll 
zu begegnen. Wie mangelhaft auch die ersten Versuche eines Schülers ausfallen 
mochten, so ging doch das Bemühen Ferstels stets dahin, so viel als möglich von 
dem beizubehalten, was der Schüler mit Recht als sein geistiges Eigenthum betrachten 
konnte. Man muss es beobachtet haben, mit welchem Ernste Ferstel, der ruhm 
gekrönte Architekt, dem Ideengange des Anfängers folgte und diesen allmählich auf 
den richtigen Weg zu bringen suchte, um ihn als Lehrer nach seinem vollen Werthe 
schätzen zu können. Er hatte nichts von zunftmässigem Pädagogenthum, aber nichts 
destoweniger lag in seinem Vorgehen eine ausgezeichnete Methode. Denn indem er 
den Schüler ermuthigte, seinen Ideen Ausdruck zu geben, lehrte er ihn doch zugleich, 
dass dieselben einer genauen Ueberprüfung bedürfen und nach welchen Grundsätzen 
diese Beurtheilung erfolgen müsse. 
Die grosse Zahl von Bauprogrammen, welche Ferstel speciell für die Aus 
arbeitungen seiner Schüler verfasste sind mustergiltig ebenso durch ihre geschmack 
volle Zusammenstellung, wie durch ihre Bestimmtheit und Deutlichkeit. Die Wahl 
des Stils aber war in den meisten Fällen dem Schüler freigestellt und bildete also 
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