Meinem lieben Freunde Theophil Hansen
zu seinem 70. Geburtstage.
Jedem Menschen ist sein Lebensweg vorgezeichnet; was er schafft und wirkt
ist ein Resultat seiner Individualität. Wie sehr drängt mich meine Empfindung dazu,
Dir heute zu sagen, wie gerade Deine künstlerische Individualität so überaus erfolg
reich für unsere Zeit werden musste. Und siehe da, ein Schicksal, wie es grausamer
kaum gedacht werden kann, bestimmt, dass Deine beiden jüngeren Fach- und Kampfes
genossen (Ferstel und Schmidt), deren Wirken mit dem Deinen während der letzten
Decennien in innigem unmittelbaren Zusammenhänge steht, dem schönen Feste krank
fernstehen, während gerade ihnen die Verpflichtung obliegen würde, Dich heute aut
den Schild emporzuheben, damit nicht nur die Künstlerschaft, sondern die ganze ge
bildete Welt Dir die gebührende Huldigung darbringen möchte. So sei es mir wenig
stens gestattet, in flüchtigen Zeilen zusammenzufassen, was ich Dir sagen möchte,
wenn ich so glücklich wäre, Dir heute persönlich gegenüberstehen zu können. Ich
glaube ein besonderes Anrecht zu haben, den weittragenden Einfluss Deines künst
lerischen Wirkens heute hervorzuheben, denn kaum irgend ein Theilnehmer des
heutigen Festes wird Gelegenheit gehabt haben, Dein Wirken seit jener Zeit, als Du
in Wien eine zweite Heimat gefunden hast, so schrittweise zu verfolgen als ich.
Als junger, aber bereits der Meisterschaft naher Künstler kamst Du nach Wien
zu einer Zeit, als unsere Bauzustände in der erdenklich tiefsten Erniedrigung sich
befanden. Die Baukunst jener Zeit war der getreueste Ausdruck des den Staat wie
das Volksleben beherrschenden Bureaukratismus. Das Jahr 1848 erlöste auch die
Baukunst von dem Banne, der bis dahin auf ihr gelastet hatte. In dieser Zeit der all
gemeinen Bewegung trafen wir junge Akademiker mit Euch jungen Architekten zu
sammen und begierig lauschten wir Euren Lehren und Anschauungen. Künstler, jung
und alt, Meister und Schüler verbanden sich, um als Sturmbock das morsche alte
System niederzuwerfen, und wie damals Alles, so gelang auch das Unglaubliche.
Das Concurrenzwesen wurde als einzige Errettung von den baubureau-
kratischen Verhältnissen bezeichnet und nachdrücklich verlangt, und in der That
brachte auch das Jahr 1848 die erste Concurrenz, bei der Du, sowie der Schweizer
Müller, mit neuen glänzenderen Arbeiten hervortratest. Ihr galtet uns in der That
als Vorbilder und Lehrer. Diese Erinnerung an 1848 möge eine schöne Frühlings-
blüthe in dem Kranze bilden, der heute Dein jugendliches Greisenhaupt schmückt.