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benennen müsste, denn sie haben mit der einen Art der Spitzen den
durchbrochenen Grund, die Herstellung mit der Nadel und in Folge
dessen auch das Ornament gemein. Sie würden also richtiger vielleicht
mit unter die Spitzen zu zählen sein, doch wollen wir ihnen hier vom
Standpunkt der Stickerei aus einige Worte widmen.
Die Mittel der Weissstickerei, um Effect zu erzielen, sind sehr gering.
Da ihr die Möglichkeit nicht gegeben ist, mit Licht und Schatten zu wir
ken, so fällt bei ihr die Naturnachahmung, die naturalistische Zeichnung
hinweg; sie ist wenigstens principiell verkehrt und muss vermieden werden.
Sie ist, wenn irgend ein Kunstzweig, auf Schönheit der Linien und der
Arrangements bezüglich der Ornamente angewiesen. Noch viel mehr gilt
das von den Stickereien auf durchbrochenem Grunde, sei dieser nun durch
Ausziehung von Faden oder durch Tüllgrund hergestellt. Der regelmässig
durchbrochene Grund schreibt schon eine gewisse Regelmässigkeit der
Linien vor; es ist nicht möglich, sie willkürlich zu runden oder abzu
schweifen, ohne den Fluss des Laufes zu verletzen. Es handelt sich dem
nach als Ziel der Kunstaufgabe um regelmässige Figuren, die mit ein
ander, sowie mit dem mehr oder minder klaren, durchsichtigen Grunde
in angenehme Wirkung treten; daneben allerdings dann auch um die
Feinheit des Materials und der Arbeit, welche in der Spitzenfabrication
und der ihr verwandten Spitzenstickerei eine ausserordentlich grosse Be
deutung hat. Dies ist das Gebiet, auf welchem wir vorzugsweise Fräulein
Mirani und ihre Schülerinnen, Madame Gotthold Hey mann und Frl.
Charlotte Strauss, mit zahlreichen gelungenen Arbeiten vertreten sehen.
Auch einige andere Damen schliessen sich ihnen an, wie Fanny v. Dill-
mont und Frl. Lorch. Dagegen befinden sich die Arbeiten von Frie
derike Lackner in Graz sowie die reiche Ausstellung von Weissticke
reien der Firma Weldler & Budie in Wien, was die Ornamentation
betrifft, noch mehr auf dem bisherigen Wege.
Ein anderes Genre der Kunststickerei, die eigentliche Gold
stickerei, ist mit mehreren grösseren Arbeiten durch die Anstalt von
S. Kuh in Prag vertreten. Diese Art, die weite Anwendung findet und
industriell von grosser Bedeutung ist, bedarf wohl noch sehr einer Reform,
die auf dem kirchlichen Gebiete zum Theil bereits eingetreten ist. Diese
Reform muss mit auf einer Umwandlung von Material und Technik be
ruhen. Unser heutiges Material ist zu steif und auch zu farblos und
effectlos. Die Folge der ersteren Eigenschaft war, dass unsere Gold
stickereien selbst zu steif und bretterartig unbiegsam geworden sind. Da
durch haben sie grade die Eigenthümlichkeit der Stickerei als biegsamer
Nadelmalerei eingebüsst. Und nicht blos das: man hat der Versteifung
wegen sie noch mit hartem Stoffe unterlegt, so dass ein vollkommenes
Relief gleich einer Holzschnitzerei herausgekommen ist. Aehnliches ist
freilich auch schon am Schlüsse des Mittelalters geschehen, aber es war
auch damals eine Verirrung. Man muss zu den guten Mustern der