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Formen. Wie wenig aber diese Richtung sonst in der Welt durchgedrungen
oder nur gekannt ist, lehrt der Unsinn, den heute — und gerade erst in
jüngster Zeit — die Schwarzwälder mit ihren geschnitzten Uhrgehäusen
treiben, ein Unsinn, der ex professo durch Schulen noch künstlich gross
gezogen ist. Das ganze Gebirg mit seiner Natur, seinen Thieren, seinen
Bewohnen, seinen Sitten treibt sich anspruchsvoll um so ein armseliges
Uhrwerk herum, dass man wirklich die alte, bescheidene'Art mit schlecht ge
malten Blumen auf emaillirtem oder porzellanenem Zifferblatt noch vorzieht.
Doch zurück von dieser kleinen Abschweifung zu unserer Ausstel
lung, davon wir noch besonders besprechen wollten, was sie in jüngster
Zeit an Ergänzungen erhalten hat. Das bedeutendste davon sind einige
Kästen aus dem Besitze der Herren Bourgeois in Heidelberg, darunter
selbst ein seltenes gothisches Stück (Nr. 176), niederrheinischen Ursprungs,
aus der zweiten Hälfte des i5. Jahrhunderts. Es ist ein kleiner Wand
kasten in zwei Abtheilungen, die Thürfüllungen mit Wappen und Helmen
und äusserst zierlicher, zu Laubwerk zerschnittener Helmdecke in Relief
überzogen, auch mit reichem Eisenwerk versehen, das, aus Bändern,
Schloss, Griff u. s. w. bestehend, einen Hauptschmuck bildet. Dieser Eisen
beschlag ist platt und scharfkantig, ebenso wie auf den gothischen Möbeln
rheinischen Ursprungs aus dem Besitz des Fürsten Liechtenstein, nicht
getrieben und gebuckelt und zu der zierlichen, plastischen Lebendigkeit
ausgearbeitet wie das Nürnberger, Augsburger oder sonst süddeutsche
Eisenwerk der gleichen Epoche. Es scheint darin ein charakteristischer
Unterschied für die norddeutsche und die süddeutsche Arbeit in diesem
Metall zu liegen.
Ein anderer Wandkasten aus dem gleichen Besitz (Nr. 179) stellt
uns mit gemischt gothischen und Renaissancemotiven den Uebergang
aus der einen Kunstperiode in die andere dar. Man möchte indess nicht
blos gemischten Styl und gemischten Geschmack, sondern auch verschie
dene Hände daran wahrnehmen, so dass man sich des Eindruckes nicht
erwehren kann, als ob die drei Einheiten von Zeit, Ort und Idee erst
später mit einiger Kunst und Gewalt an diesem Stücke hergestellt seien.
Vortrefflich sind dagegen die beiden grossen, ebenfalls neu hinzugekom
menen Wandkästen Nr. 177 und 178 (gleichfalls Eigenthum der Herren
Bourgeois)', deutsche Renaissancearbeiten aus der Mitte oder der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts. Beide sind offenbar, wie die kleinen land
schaftlichen, mit religiösen Figuren staffirten Reliefs in den Füllungen
erkennen lassen, des gleichen Ursprungs und bilden in Grösse und in
ihrem ausgezeichneten Bau Seitenstücke, obwohl der obere Theil insofern
Verschiedenheiten bietet, als er bei dem einen zurücktritt und das Haupt
gesims von drei Karyatiden getragen wird. Dieses reizende Motiv der
architektonischen Construction, das wir sehr häufig an den Kästen unserer
Ausstellung finden, ist der heutigen Schreinerei gänzlich unbekannt. Schon
das 18. Jahrhundert hatte es aufgegeben.