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mir auch jede Organisation einer Kunstgewerbeschule verfehlt, in welcher
die Kunstgewerbeschule nur einen Annex einer technischen Hochschule bildet,
wie es z. B. in Stuttgart der Fall ist. Hingegen halte ich den Atelierunterricht
in den Kunstgewerbeschulen für das beste Mittel, den Uebergang von der
Schule in das praktische kunstgewerbliche Leben einzuleiten und den
jungen Leuten, welche sich dem Kunstgewerbe widmen, Lust und Liebe,
zu selbständigem, künstlerischem Schaffen beizubringen. Es dürfte lange
dauern, bis speciell im Berliner Publicum die Ueberzeugung Platz greift,
dass die Entwickelung eines künstlerisch bedeutenden Kunstgewerbes nur
langsam um sich greifen kann, und dass eine gesunde künstlerische
Entwickelung nicht so schnell geht, wie bei den rein technischen oder
mechanischen Industrien, wo die Mathematik, Mechanik und Chemie die
erste Rolle spielen und wo es dann nur nöthig ist, das erforderliche Capital
zur Errichtung von Fabriken und Anschaffung von Maschinen herbeizu
schaffen. Die künstlerische Anlage der Berliner ist von Hause aus nicht
so ausgesprochen, wie es bei den Bewohnern Wiens der Fall ist. Der
Wiener ist ein halber Südländer, hat Freude und Lust am Schauen und
am Genie(3en, er ist daher auch leichter empfänglich für jeden künstle
rischen Eindruck und auch geneigt an dem Besitze schöner Sachen Freude
zu empfinden. In Berlin ist das ganz anders; der Berliner ist ein vor
wiegend ausgeprägter Verstandesmensch, zur Kritik und zum Negiren
geneigt und wenig geneigt für einen künstlerischen Genuss Geld auszu
geben. Er ist erzogen in den Traditionen der altpreußischen Sparsamkeit;
und dieser Sparsinn und häusliche Oekonomie, die in Preußen zu Hause
ist, sind die größten Tugenden des Berliners ujtd ich wünschte nicht, dass der
künstlerische Fortschritt in Berlin bezahlt würde mit dem Aufgeben der
altpreußischen Sparsamkeit. Es würde damit ein schlechter Tausch gemacht
werden, der sich insbesondere dann rächen würde, wenn einmal eine poli
tische Katastrophe über Berlin käme. Der künstlerische Hausschatz würde
sich als unzureichend erweisen und der strenge Haushalt, vielleicht auch
die strenge Pflichttreue würde verloren sein. In einer Stadt, wo seit Jahr
zehnten die großen Gelehrten der Mathematik, Chemie und aller Zweige
der Naturforschung gelebt haben, ist es wohl sehr begreiflich, dass die
wissenschaftlichen und technischen Unternehmungen in den Vordergrund
treten. Denn ein Theil des volkswirthschaftlichen Aufschwunges, dessen
sich heutigen Tags Berlin erfreut, wurzelt in der engen Berührung der
technischen und mathematischen Wissenschaften mit den Gewerben. Man
braucht nur einmal in Köln, in Nürnberg, in Schwaben oder gar in
München längere Zeit gelebt zu haben um sich davon zu überzeugen,
wie verschieden die künstlerischen Anlagen der Bevölkerung der
genannten Orte sind, gar nicht zu vergleichen mit der Bevölkerung von
Berlin. Was ich in Berlin von neueren Bauten gesehen habe, hat mich nur
theilweise befriedigt; man sieht zwar überall dass jetzt mehr Geldmittel
vorhanden sind, die Bauten zu schmücken, aber die künstlerische Physio-