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IV.
Die Stadterweiterung Berlins mit Hinblick auf die Stadt
erweiterung von Wien.
Die Stadterweiterung Berlins ist für Berlin ebenso segens- und erfolg
reich, als es seinerzeit für uns die Stadterweiterung Wien’s war. Sie voll
zieht sich aber, ich möchte sagen nach ganz anderen Gesetzen als in Wien,
die theils in der verschiedenen topographischen Lage der beiden Städte be
gründet sind, theils auch in der verschiedenen historischen und politischen
Entwickelung derselben. Das heutige Berlin ist keine schöne Stadt; unter den
Großstädten des heutigen Europa vielleicht diejenige, welche am wenigsten
mit künstlerischen und malerischen Reizen ausgestattet ist. Da Berlin eine
relativ junge, ganz moderne Stadt ist, so fehlen ihr auch alle die archi
tektonischen Schönheiten, welche jenen Städten innewohnen, welche eine
große historische Bauentwickelung hinter sich haben. Es gibt wohl einige
Punkte der Stadt Berlin, die architektonisch imponiren, wie die Straße »Unter
den Linden«, welche mit dem prachtvollen Rauch’schen Denkmal Fried
rich des Großen ihren auch architektonisch schönen Abschluss findet; der
imposante Schl ii t er’sche Schlossbau, dem gegenüber sich die Schi n ke l’sche
Facade der k. Museen erhebt, macht auf alle, die diesen Platz betreten,
einen künstlerischen Eindruck. Dieser Eindruck wird noch viel mächtiger
sein, wenn der projectirte Dom, der Campo Santo, geschmückt mit den
Fresken nach den großartigen Cartons von Cornelius und die Neubauten
der Museen durchgeführt sein werden. Die ganze Musealinsel wird dann
ein durch Kunst und Alterthum geheiligter Raum werden. Aber im Innern
der Stadt ist Berlin eine lebhafte, aber nüchterne Geschäftsstadt. Der
Schinkel’sche Theaterbau ist eine architektonische Oase. Da Berlin eine pro
testantische Stadt ist, so fehlt ihr auch der Schmuck der Kirchen. Der
einzige historisch bedeutende Kirchenbau, der in Berlin existirt, ist die
Klosterkirche. Die einzige moderne Kirche, welche für Kunstfreunde besonders
interessant ist, ist die W’ erd er’sche Kirche; sie ist doppelt interessant, weil
beim Bau dieser Kirche der größte Hellenist unter den modernen Architekten
den Versuch gemacht hat, den gothischen Styl für eine evangelische Kirche in
Anwendung zu bringen. Die Berliner Kirchen sind nüchtern über alle
Maßen, einige von ihnen machen durch ihre Architektur einen grotesken
Eindruck. Berlin ist eine offene Stadt; die Befestigungen, die Berlin ehe
mals besessen hat, sind, zum Glück für Berlin, schon längst verschwunden.
Naturgemäß breitet sich Berlin in der Brandenburger Ebene aus und lehnt