12
eine Vollendung der Arbeit! Während sonst der eine Kunstzweig steigt,
der andere sinkt, blühen sie in dieser Epoche alle mit einander empor,
und gerade in der Decoration der Innenräume, auf Wänden und Decken
gehen sie die schönste Verbindung ein. Kein Styl, keine Epoche der
Kunst zeigt so sehr die innige Verbindung der drei großen Künste, der
Architektur, Sculptur und Malerei, deren Zusammenwirken erst das höchste
und großartigste Kunstwerk zu schaffen vermag. Und gerade das ist
vielleicht die bedeutsamste und am meisten charakteristische Eigenschaft
der Kunst der Renaissance. Die großen Meister, die so oft die Ausübung
aller drei Künste in sich vereinten, haben das vollständig begriffen. Es
tritt das auch in unserer Ausstellung, die vielfach Gesammtansichten neben
dem Detail der Ornamente bringt, deutlich hervor.
Wenn wir unseren Weg beginnen, um von Wand zu Wand der
Entwicklung der Renaissance in geschichtlicher Reihe zu folgen, stehen
wir noch mitten in der Gothik, aber in der italienischen Gothik. Eine
Reihe Originalaufnahmen von Stella, Herdtle, Theyer u. a. aus Siena,
Padua, Florenz vertreten die italienisch - gothische Decoration in genügen
der Weise. Das ornamentale Princip, wie es sich z. B. in den Wand
malereien des Rathhauses zu Siena ausspricht, ist kein anderes, als das
in den rheinischen Kirchen, es ist, wenn nicht dieselbe, doch ganz die
ähnliche Art und Anordnung, Rippen, Pfeiler, Capitäle, Bogen und Ge
wölbe zu verzieren, doch muthet uns die Farbengebung anders an und
die Figuren zeigen die charakteristische Zeichnung der alten berühmten
Schule von Siena, sowie der Schule von Giotto.
Siena ist die erste Stadt der italienischen Gothik; sie hat aber auch
in der mit dem Dome verbundenen Libreria eines der herrlichsten Bei
spiele von vollständig decorirtem Raume aus der Zeit der Frührenaissance.
Wir erhalten einen Eindruck, freilich nur einen abgeschwächten, von der
reichen und edlen Wirkung durch einen großen Farbendruck aus den
Publicationen der Arundel-Society, der von dem Innern ein Gesammtbild
gibt. — »Frührenaissance«, das ist heute das Losungswort der Kunst
freunde und Sammler vom ersten Range. Keine Arbeiten sind mehr
gesucht, keine sind heute theurer gezahlt als diejenigen der italienischen
Kunst aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Diese Liebhaberei ist auch voll
kommen begreiflich, denn keine Epoche der Kunst ist mit naiverem,
treuerem Sinn, mit größerer Hingebung auf die Natur eingegangen,
keine hat einen feineren, edleren Schönheitssinn entwickelt, wenn sie
auch an Großartigkeit der künstlerischen Gedanken und der technischen
Vollkommenheit von der Hochrenaissance übertroffen wurde. Steht sie
hinter dieser an Größe und Vollendung zurück, so übertrifft sie dieselbe
an Liebenswürdigkeit, an zierlichen Reizen.
Diesen Charakter tragen auch die ausgestellten Decorationen Italiens
aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Es sind fein empfundene, zierlichst
ausgeführte Ornamente, nunmehr mit Anlehnung an antike römische