zu bieten vermag. Gerade diese Herausarbeitung des Typiachen zwingt zu Verständniss-
voller Versenkung in die Natur, deren unablassiges Studium nicht genug empfohlen
werden kann. ln diesem Sinne ist demnach Originalität nicht Erfindung eines Neuen,
in der Natur Nichtvorhandenen, sondern Auffindung eines Verborgenen, unter der Ober-
Hacbe des natürlichen, bewegten Seins Ruhenden; ferner vollzieht sich diese Auffindung
zwar nach allgemein giltigen Gesetzen, jedoch in der Seele eines Individuums, welches die
Auffindung der charakteristischen Eigenthßmlichlteiten und insoferne Schönheiten der Natur,
ohne der Gesetze zu gedenken, unbewusst, absichtslos und in individueller, subjectiv gefärbter
Weise vollzieht. Hiezu bedarf der Künstler aber zweier nur ihm eigenthümlicher Fähig-
keiten: der angeborenen Disposition des guten Geschmackes für das ästhetisch Werthvolle
und der angeborenen Disposition zur Bildung anschaulicher Phantasievorstellungen. Wie
aber die Kunst der Anlehnung an die Natur bedarf, aus welcher sie immer neue Kräfte
zieht, so bedarf sie auch der Anlehnung an das, was die Kunst bereits geschaffen, um
neue Werke hervorzubringen, seien es höhere, gleiche oder überhaupt andere. Der Vor-
tragende verwies nun auf die Beschränktheit der überhaupt möglichen Kunstmotive,
-Typen und -Techniken und auf die Wichtigkeit der Lehre, der Schulen, der Uebertragung,
Nachfolg und Weiterbildung. Auch im Stoffe sind die Künstler einander und der an der
Hervorbringung künstlerischer, verwerthbarer Stoffe unbewusst mitarbeitenden Menge
tausendfach verpflichtet. Redner führte hiefür zahlreiche Beispiele aus allen Gebieten
und Epochen der Kunst an, aus der Plastik und Malerei und Litteratur, wobei besonders
die Entwickelung RaifaePs und die Geschichte der Faustdichtung analysirt wurde. Wenn
man wollte, konnte man jeden Künstler, die größten voran, mit den QQ 17x und 467 St. G.
bebelligen; dies wäre aber nur von Seiten Solcher möglich, welche das Wesen der
Kunst, das Erwachsen des Künstlers nicht kennen und nicht verstehen, wie er mit tausend
Fasern in Ueberlieierung und Gegenwart wurzelt und dass seine Originalitat dem Boden
der Nachfolge und Nachahmung entstamme. Jene beiden angeborenen Dispositionen vor-
ausgesetzt, ist die geistige Verfassung des Künstlers keine im Wesen, sondern nur eine,
dem Grade nach andere als bei anderen Menschen. Er ist: nPrimus inter paresn.
Litteratur - Bericht.
Deutsches Leben im t4. und 15. Jahrhundert. Von Alwin Schultz.
Große Ausgabe. Erster Halbband. Wien und Prag, Tempsky, 1892.
8". 320 S. Mit vielen Abbildungen, zum Theil in Farben. H. 18.
Es ist nur ein halbes Buch, welches wir hier zur Anzeige bringen, ein Halbband,
welcher mitten in einem Satze endet. Dem Verfasser, dessen Arbeit an diesem neuen
Werke, wie uns die Vorrede belehrt, schon seit mehreren Jahren abgeschlossen ist,
wurde die Zeit des Druckes und insbesondere der Herstellung der farbigen Bilder zu
lan , und so entschloss er sich, die erste Hälfte vorausgehen zu lassen. Wir sind ihm
des alb nicht gram, denn bei dem großen lnteresse des Gegenstandes und bei dem
vielen neuen Material, welches dieses Buch in Text und Abbildungen bringt, kann es
nur angenehm und erwünscht sein, auch nur die Hälfte um einige Jahre früher in
Händen zu haben. Und bei Alwin Schultz wissen wir in aus dessen früherem Werke
über das höüsche Leben, dass wir nicht blns einen reichen, sondern auch einen zuver-
lassigen, quellenmaßig begründeten lnhalt zu erwarten haben. Weniger einverstanden
sind wir mit der Form, welche bei dem Umstande, dass dem Werke das nonum pre-
matur in annutn zu Gute kommt, wohl anders hatte ausfallen sollen. Wir meinen nicht
damit die mosaikartige Zusammenstellung des überreichen Inhalts, da das Werk (viel-
mehr diese Ausgabe, wie wir noch sehen werden) ein wissenschaftliches und wissen-
schaftlich benutzbares sein soll. Was uns auffällt, ist der gänzliche Mangel an Eintheilung
und Unterordnung, der Mangel jeden Hinweises auf die einander folgenden Gegenstände.
Weder gibt es Capiteleintheilung noch Nennung der Gegenstände auf den einzelnen
Seiten; wenn wir uns urientiren wollen, so sind wir auf Blättern im Buche und ins-
besondere auf die Bilder als Leiter für unser Suchen angewiesen, Die Haupteintheilung
geschieht nach Burgen, Städten und Dörfern. Aber während die Burgen auf acht Seiten
abgethan sind, nehmen die Städte den größten Theil dieses Halbbandes ein mit allen
möglichen Gegenständen, von der Architektur bis hinab zum intimsten Leben und zum
kleinsten Hausgerathe, man kann sagen, in] einem Zuge weg. Gelegentlich findet
sich dann auch einmal eine Ueberschrift, wie z. B. Wirthshaus, ohne dass man weiß
oder dass angegeben ist, wo nun ein anderer Gegenstand anfängt. Dieser Unbequem-
lichkeit wird allerdings am Schluss des ganzen Werkes durch ein ausführliches Register
einigermaßen abgeholfen, aber sie wird dadurch nicht aufgehoben.