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fältigenden Kunst. In gewissem beschränkten Sinne
ist das auch richtig; denn von den grösseren und be
deutenderen Radirungen wird regelmässig nur eine
beschränkte Anzahl von Abdrücken gemacht, welche
numerirt und registrirt werden, so dass jedes einzelne
Exemplar als ein Individuum sozusagen behandelt wird.
Weitere Abdrücke zu verhüten, wird die Platte alsdann
vernichtet.
Dieses Verfahren zeigt auf das deutlichste, zu
welcher Höhe der Werthschätzung sich die moderne
Radirung emporgearbeitet hat, und in der That ver
dienen ihre bewundernswürdigen Leistungen das höchste
und allgemeinste Interesse.
Nicht so gut ist es dem Kupferstich ergangen. Die
flotte, freie, geistreiche und individuelle Manier der
Radirung hat diese wieder in Schwung und Anerken
nung gebracht; die mühsamere, langsamere Arbeit des
Kupferstiches steht nicht im Einklang mit unserer rasch
arbeitenden und rasch lebenden Zeit. Dazu ist die
Manier des Kupferstiches mit ihren langgezogenen, regel
mässig gelegten Linien zu wenig individuell; sie zeigt
Geschicklichkeit, aber nicht Originalität des nachbil
denden Künstlers; man interessirt sich nicht für die
Hand, welche den Stich gearbeitet hat, man verlangt
nur das Original oder vielmehr die Zeichnung des
selben in möglichster Treue wiedergegeben. Es ist
dem Kupferstich schwer, eine ähnliche malerische Wir
kung zu erreichen, wie sie die Radirung erzielt. Des
halb ist es dieser auch möglich, der malerischen Wir
kung des Oelgemäldes näher zu kommen.