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riesigen Tischplatten aufznheben, umzukehren und auf das Gewühl der Raufenden
loszuschlagen, so daß ganze Partien von Streitenden zu Boden sanken oder die Flucht
ergriffen. Lächelnd erzählte er solche Fälle, und wenn er damit zu Ende war, ging seine
Stimme noch eine Weile in seiner Riesenbrnst herum wie ein nachhallender Donnerton
im Resonanzbodenraum einer Baßgeige.
Zur Zeit der Vollkraft dieser Hünen war die Rauflust in dem Volke noch groß und
allgemein; selten ging eine Tanzmusik oder ein Jahrmarkt ohne wilde Kämpfe zwischen
Burschen eines Dorfes oder zwischen den verbündeten Burschen zweier Dörfer vorüber.
Diese Rauflust, obwohl noch weit und breit vorhanden, ist milder geworden und bei den
hier und da noch losbrechenden Kümpfen kommen die Messer, welche die Burschen an der
rechten Hüfte nebst Eßbesteck in einem Futteral tragen, fast nie mehr in Verwendung.
Mit der Abnahme der wilden Rauflust Hand in Hand geht das Verschwinden des früher
so übel berufenen Wilderer- und Schmugglerwesens, das nur noch wenige Freunde und
Waghälse zählt. Und so kann man jetzt als allgemeine Charakteristik des Volkes aufstellen:
von Natur heiter und kräftig, ist es im Ernst und Humor etwas scharfkantig, was ihm als
Bewohner rauherer Berg- und Waldstrecken eigentlich zukommt. Die Proceßsucht, früher
weit verbreitet und von elementarer Hartnäckigkeit, ist ans vereinzelte Fälle herab-
gesnnken und wird durch einen vortrefflichen Gemüthszug weit überwogen: die Hilfeleistung,
die sich Einzelne wie ganze Dörfer in Noth und Bedrängniß gewähren. Bei Bränden,
Hagelschlägen, gefährdeten Ernten zeichnet sich das Volksgemüth wahrhaft glänzend aus.
Wenn ein ärmerer Hausbesitzer wegen zu wenig Zugvieh und Mangel an Arbeitern zur
Erntezeit mit seinen Geschäften zurückbleibt, so unterstützt man ihn allseitig und Hilst ihm.
Nicht selten nehmen erwachsene Bursche nachts einen Wagen, spannen sich selbst an
die Deichsel oder schieben an Rad und Leitern; wenn dann der Hofbesitzer am Morgen
seufzend aufsteht, um sein Getreide mühsam einzuführen, liegt ein Theil schon in der
Scheuer und ein befrachteter Wagen steht noch vor dem Thor.
Ein schöner Grnndzug im Charakter der Böhmerwäldler ist die Liebe zur Heimat.
Wenn sie diese schon verlassen müssen, so ist ihr beliebtestes Ziel Niederösterreich,
namentlich Wien; doch ist die Sehnsucht, nach längerer oder kürzerer Abwesenheit wieder
heimzukehren, unaustilgbar. Darum wollte vor längerer Zeit die Neigung, auszuwandern,
nicht recht platzgreifen, insbesondere im nördlichen Böhmerwalde, wo im Jahre 1827
ein Auszug nach dem Banat in abschreckender Weise mißglückte. Jetzt hat sich freilich in
dieser Beziehung viel verändert; denn Einzelne und ganze Familien sind dem Zuge nach
Nordamerika gefolgt, haben ihre Lage dort verbessert und bereits viele Verwandte und
Bekannte nachgezogen. Zahlreiche jüngere und ältere Leute, wenn sie nur die Reise bezahlen
und Land ankaufen können, schließen sich zusammen und folgen ihren Vorgängern;