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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

TECHNIK UND KUNST IM GEWERBE 
wenn ein Buch nicht febt fcblimm befcbmutjt, ift es beffer, fich 
mit diefer Reinigung zu begnügen, als Gefahr zu laufen, durch 
den Gebrauch draftifcherer Mittel feinem Charakter zu fcbaden. 
Sind fo alle Lagen wieder verftärkt, die Tafeln mit Falzen 
verleben und das notwendige Wafcben und Leimen gefcbeben, 
fo ift das Buch für die Zwecke des Buchbinders in demfelben 
Zuftande wie ein neues, gerade gefalztes Buch, und fo wird es 
wie diefes in eine Preffe gefegt und mindeftens zwölf Stunden 
unter Druck gelaffen; dann ift das Buch fertig für das Vorfat^ 
machen. □ 
Man findet im allgemeinen, daß die allererften und die aller* 
letjten Blätter eines alten Buches mehr als die anderen gelitten 
haben, und um diefe zu fcbütjen, benützt man die Vorfätje. Die 
angepappten Vorfälle können aus farbigem oder marmoriertem 
Papier befteben. Es beftebt eine gewiffe Gegenftrömung gegen 
den Gebrauch der marmorierten Papiere, da fie das erfordern, 
was als »aufgepappter Verfaß« bekannt ift, d. b. zwei zufammen* 
geklebte Papiere; dies gibt ein unangenehm fteifes Blatt am 
Hnfang und am Ende eines Buches. □ 
Seidenvorfätje werden zuweilen bei koftbar gebundenen 
Büchern verwandt, aber fie febeinen feiten am Platje zu fein 
und find zudem geeignet, an den Rändern auszufafern, wenn 
fie nicht eingefcblagen find; das Einfcblagen aber bildet ein tadel* 
baftes dickes Kiffen. Pergamentvorfätje werden ebenfalls ver 
wandt, aber fie find febr wenig zufriedenftellend, da fie gerne 
die Deckel verziehen. Im großen ganzen febeinen Vorfätje aus 
gutem Papier für ein Papierbuch mit oder ohne Lederbünde 
am paffendften zu fein. □ 
Sollen die Schnitte vor dem Heften vergoldet werden, fo 
werden fie in diefem Zuftande befchnitten. Es beftebt eine 
Strömung, die Buchfcbnitte gänzlich unbefchnitten zu laffen. Die 
Buchbinder febneiden fo oft die Bücher herunter, um einen 
feften Schnitt zu erhalten und darauf zu vergolden, daß ganz 
natürlicherweife Bücberliebbaber es vorgezogen haben, lieber 
häßliche, raube Ränder zu laffen, als ihre Bücher ungehörig ver- 
ftutjt zu haben. Diefe rauben, unfauberen Ränder gänzlich un- 
befchnittener Bücher find häßlich; fie fammeln den Staub und 
laffen fich febwer umblättern. Huf der anderen Seite ift der 
fefte Goldfchnitt, der den Eindruck macht, wie ein Stück einer 
Meffingbettftelle und ficberlicb anders ausfiebt, als die Ränder 
von Papierblättern, feinerfeits gleich wenig zufriedenftellend. 
Die Schnitte vor dem Heften zu befebneiden und im Roben zu 
vergolden ift ein Kompromiß zwifeben den beiden unbefriedi 
genden Extremen des gänzlich unbefebnittenen Bandes und 
einem Schnitte, der in der Hufficbt gänzlich feft ift. Wenn man 
nur die Ränder der größeren Blätter abfehneidet, erhält man 
eine Oberfläche, die feft genug ift, um darauf zu vergolden, 
ohne daß man das Buch ungehörig verfchneidet. Ein Schnitt 
»gilt on tbe rougb« (auf dem Rauben vergoldet) befitjt einen 
Reichtum, der die Schönheit eines »auf dem Feften vergoldeten 
Schnittes« (»gilt on tbe solid«) weit übertrifft und bat zudem 
ein angemeffenes flusfeben, weil fo die Ränder der Papierblätter 
fichtbar find und nicht die Seite eines feften Blocks. Während 
es gut ift, die Schnitte moderner Bücher zu befebneiden und zu 
vergolden, läßt man die Schnitte alter oder febr wertvoller 
Bücher am beften unberührt. □ 
Da der nächfte Hrbeitsvorgang das Heften ift, werden Linien 
quer über den Rücken angemerkt, um die Lage der Bünde zu 
bezeichnen. Die Heftlade beftebt aus einem Brett mit zwei auf 
rechten Spindeln, die durch Löcher in einem lofen Querbalken 
geben; diefer kann vermittelft hölzerner Schraubenmuttern ge 
hoben oder gefenkt werden; diefe fitjen auf den Schrauben 
gewinden der Spindeln. Von dem Querbalken find die Kordeln 
zu einem Scblitje in dem Grundbrett gefpannt, etwa in der Hrt 
von Harfenfaiten; an fie werden die Lagen eines Buches an« 
geheftet. Für gute Hrbeit muß die Heftung biegfam (»flexible«) 
fein. Bei Flexible-Heftung gebt der Zwirn um jede aufrechte 
Kordel herum, die, einen erhabenen Bund bildend, an dem 
Rücken der Lagen liegt. Bei gewöhnlicher Heftung find die 
Bünde in Nuten eingefenkt, die in die Rücken der Lagen ein- 
gefägt find, und der Faden gebt nur hinter ihnen vorbei und 
nicht um fie herum. □ 
Wenn ein »eingefägtes« Buch auf feinem Rücken erhabene 
Bünde zeigt, fo find es falfche, die nichts mit dem Bucbkörper 
zu tun haben. Es ift einleuchtend, daß die Blätter, wenn die 
Heftkordeln in den Rücken der Lagen eingefenkt find, ficb nur 
bis zu den Kordeln und nicht ganz bis zum Falze öffnen können, 
wie fie es bei biegfamer Heftung tun würden, es fei denn, daß 
das Papier unvernünftig fteif ift. Eine andere Methode ift das 
Heften auf Bänder, die große Stärke gibt, wenn die Enden der 
Bänder zwifeben zwei Deckel verklebt werden. □ 
Wenn das Buch geheftet ift, werden die Kordeln von der Heft 
lade abgefebnitten, wobei man zwei oder drei Zoll auf jeder 
Seite des Buches ftehen läßt. Diefe freien Stücke der Kordeln, 
»slips« genannt, werden aufgefebabt und in die Deckel ge= 
febnürt. □ 
Nachdem die Bünde aufgefchabt find, wird der Rücken mit 
dünnem Leim überftrichen, und wenn diefer nahezu trocken ift, 
wird das Buch »rundgemacht« und »abgepreßt«. Der Heftzwirn 
macht den Rücken dicker als die anderen Teile des Buches, und 
wenn ein Buch nur gepreßt würde nach dem Leimen, würde 
der Rücken entweder konvex oder konkav werden oder wellige 
Formen annehmen. Beim Rundmachen verficbert man ficb, daß 
er eine gleichmäßig konvexe Form annimmt. Beim Hbpreffen 
werden die Fälze der Lagen von der Mitte nach außen über 
einander weggeklopft, während das Buch zwifchen zurückfteben« 
den Brettern in einer Preffe feft eingepreßt ift. Diefe Operation 
bildet die Fälze, in welche die Deckelkanten fauber bineinpaffen, 
und fie dient dazu, daß der Rücken ficber die Geftalt beibebält, 
die ihm beim Rundmacben gegeben wurde. Die Deckel werden 
nun auf Größe gefchnitten und durchzogen, indem jeder Bund 
gut gekleiftert und durch zwei Löcher durebgefebnürt wird. Es 
ift nicht richtig, die Bünde durch Huffchaben zu den bekannten 
dünnen und wenig haltbaren Hanfbündeln umzugeftalten, ledig 
lich um äußerfte Zierlichkeit zu erlangen. □ 
Sind die Deckel durchzogen, fo wird der überflüffige Leim 
von dem Rücken entfernt und das Buch nochmals eingepreßt. 
Hiernach wird das Buck befebnitten, wenn es »cut in boards« 
(mit den Deckeln befchnitten) und »gilt solid« fein foll. □ 
Die nächfte Hrbeit ift das »Kapitalen«. Bis zum Ende des 
fünfzehnten Jahrhunderts waren die Kapitale wirkliche Bünde 
an Kopf und Schwanz und wurden mit den anderen Bünden 
geheftet und mit diefen in die Deckel eingefchnürt. Die kleinen 
Seidenflechtungen an modernen Büchern find entartete, aber 
wenn fie richtig gemacht find, nützliche Hbkömmlinge der alten 
Kapitale. □ 
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