1
1
I.
ZUR EINFÜHRUNG
Zur amerikanischen Welt ist es noch immer weit über das
Wasser. Auf beiden Seiten des Atlantic haben die Völker noch
viele falsche Vorstellungen voneinander, — ganz natürliche, die sich
aus der Verschiedenheit der Entwicklung erklären, und ganz un
natürliche, die die Tendenz genährt hat.
Eaukunst und Stil sprechen die deutlichste Sprache der Kultur,
Eine Architekturausstellung wird also so manchen Irrtum klären;
doch darf man auch sie nicht ohne Geleit hinausgehen lassen.
Wir danken die ersten Anregungen zu unserer Ausstellung
Louis Henry Sullivan. Er war es auch, der als Richtschnur die
Bezeichnung „Progressive American Architecture“ empfahl. Im
April 1924 ist er in Chicago verstorben. Tief betrauert von der
Gefolgschaft seiner Freunde. Die Zeitungen feierten ihn als
einen der großen Führer der amerikanischen Architektur. Es war
nicht immer so. Als er in den 90er Jahren in einigen Zeitschriften
seine Stimme erhob gegen schwäehliche Nachahmung, als er be
gann, das Evangelium einer vertieften eigenen Kunst für eine Zeit
mit ernsten eigenen Zielen zu verkündigen, fand er mehr Feinde
als Gläubige. Aber der Seher, der in der Wüste des älteren
Chigacos den Anbruch einer neuen Kunst vorahnen konnte, kann
uns noch heute als Wegweiser zum Verständnis moderner amerika
nischer Architekturprobleme dienen. Es sind nur noch einzelne
jener frühen Manuskripte erhalten. Wir bringen einen im Jahre 1906
verfa&ten Aufsatz. Mit seinem Rufe nach Wahrheit, Ernst und
Selbstbesinnung wirft er ein helles Licht auf jene Zeit tiefen Kunst
standes um die Wende des Jahrhunderts, in der doch auch zugleich
die allerersten Anfänge einer neuen amerikanischen Architektur
liegen. Einer Architektur, der er die ideellen Grundlagen und zu
gleich die ersten praktischen Beispiele schuf. Kaum waren im
Hausbau die ersten Eisenkonstruktionen verwendet, unternahm er
es, in seinen Geschäftshäusern für St. Louis (Wainright-Haus und
Union Trust) dem Hochhaus künstlerische Eigenformen zu erfinden.
Es gab auch vor Sullivan Baumeister in den Staaten. Wir
kennen in Deutschland einiges Wenige davon. Unsere Zeitschriften