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Wer wird im übrigen, wenn Sullivan und Tallmadge von der
Wüste des späteren 19. Jahrhunderts sprechen, nicht herzlich Beifall
zollend auch an unsere eigenen Leiden denken? Mit den künstle
rischen Gefahren, Schrecken und Verfehlungen rein erwerblich und
gewerblich-materialistischer Denkweise haben auch wir uns abzu
finden gehabt, kämpfen auch wir noch heute, wie unsere künstle
rischen Glaubensgenossen drüben.
_ Die Staaten sind 17mal so grog als Deutschland. Das ameri
kanische Volk ist noch immer in der Einrichtung seines großen
Landes begriffen. Unter 110 Millionen Einwohnern sind un
endlich mehr Architekten und Baufirmen als bei uns — weil das
Bauen die wichtigste Seite der Neueinrichtung ist. So war ganz
ausgeschlossen und war auch nicht die Absicht, irgendeine voll
ständige Übersicht über die amerikanische Architektur zu geben.
Wir haben eine eigene Wahl getroffen, um Typen zu zeigen, um zu
zeigen, welche alten und neuen Kräfte drüben am Werke sind und
wie schnell sie wirken. Wir sind Sullivans Rate gefolgt.
Einige historische Rückblicke, eine Auswahl neuerer städte
baulicher Arbeiten und eine Sammlung von Straßenansichten sollen
dazu dienen, den Hintergrund besser erkennen zu lassen, von dem
sich die „Progressive American Architecture“ abzuheben beginnt.
Sonst stammen alle ausgestellten Werke aus den letzten zwölf, die
meisten aus den letzten fünf Jahren. Wir wollten den Blick auf ein
großes Volk bei seiner gegenwärtigen Kulturarbeit wenden, nicht
eine historische oder Fachausstellung für Architekten veranstalten.
Auch so angesehen, hat die Ausstellung Lücken. Es fehlt
Frank Lloyd Wright, der Lieblingsschüler Sullivans. Sein
früheres Werk ist uns schon 1911 durch Veröffentlichungen in Ber
lin bekanntgeworden. Später kamen auch Bilder vom Imperial
Hotel in Tokio, vom Geschäftshaus Larkin in Buffalo und auch von
Landhäusern. In allen dieselbe Stärke neuer Erfindung. Erst ver
einigt mit den neuesten Entwürfen zu einem Hochhaus für Chicago
und mit anderem mehr aus den allerletzten Jahren, würde sich hier
aus ein Blid dieses individuellsten amerikanischen Künstlers ge
winnen lassen. In der Tat ist uns eine besondere nachträgliche
Ausstellung zugesagt. Von Bertram Grosvenor Goodhue
haben wir nur eine Gesamtdarstellung seines Regierungsgebäudes,
des Kapitols in Nebraska. Goodhue ist vielleicht der Architekt, in
dessen Leben sich der Wandel der amerikanischen Kunst unserer
Zeit am augenscheinlichsten kundgetan hat. Er war mit C r a m
IBostonJ wohl der beste Kenner der Gotik und hat zahlreiche
gotische Kirchen gebaut. Schon aus deren Entwürfen spricht
überall ein überlegener Geist. Goodhue war ein hochgerühmter
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