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Genius nennen, als sei der notwendigerweise so selten; Du bist
nahe an dem Punkt, den alle wahrhaftigen und guten Geister suchen,
dem Punkt der lebensnotwendigen Einfachheit. Nur dem, der das
Leben fühlt, wird die Kunst des Ausdrucks von selbst machtvoll und
unbeirrt kommen, und nur ihm wird die Vollendung Gewißheit. Wenn
Du so das beste suchen und zum Ausdruck bringen willst, das in Dir
selbst ist, so mußt Du auch das Beste suchen, das in Deinem Volk
ist; denn Dein Volk ist Deine Aufgabe, und Du bist unlöslich ein
Teil seiner; es ist Deine Aufgabe, das zu bezeugen, was Dein Volk
wirklich bezeugt haben will, nämlich das Beste, das in i h m ist;
und es wünscht ebenso sehr, daß Du das Beste, das in Dir selbst ist,
zum Ausdruck bringst. Wenn die Leute zu alledem und zu Dir
zunächst nur weniig Zutrauen zu haben scheinen, so ist es, weil sie
so lange betrogen worden sind; sie sind die Unehrlichkeit satt, sie
suchen ehrliche Männer und einfache ehrliehe Kunst,
Aber den Geist zu vereinfachen, ist tatsächlich nicht so leicht.
Alles ist gegen Dich, Du bist umgeben von einem Nebel der Buch
weisheit und der Überlieferung. Die Schulen werden Dir nicht
helfen, denn sie stecken auch im Nebel. Du mugt also selbst Deinen
Geist entwickeln, so gut Du kannst. Die einzige ernsthafte Methode
ist die, nichts für bewiesen anzusehen, sondern alle Dinge selbst zu
analysieren und nach ihrem wahren Wert zu forschen. Du wirst
überrascht sein, zu sehen, wie Dinge, die Du einst für gediegen
hieltest, auseinanderfallen und wie unwesentliche bedeutend wer
den. Aber mit der Zeit wirst Du klarer unterscheiden, welche Dinge
der Gesundheit und welche der Krankheit des Volkes dienen.
Dann wirst Du Dein Gleichgewicht erlangt und wirst etwas zu
sagen haben.“
So sollte man sprechen. Unsere landläufige Kritik tut das
Gegenteil. Sie unterscheidet nicht zwischen Künstlern und Schma
rotzern, zwischen Schöpfern und Nachahmern. Sie haftet an Äu|er-
lichkeiten, findet zu groB oder zu klein, zu blau oder zu grün, wo
sie doch nach dem Wesen der Dinge schauen sollte. Und gewiß,
aufstrebende Künstler linden bei uns nur wenig Ermutigung. Sie
werden in eine trockene Wildnis geführt, in deren Tiefe ihre Führer,
die Lehrer, die Kritiker, die Buchverfasser verschwinden; sie sind
verlassen, ohne Kompaß. Und warum ist dies so? Es ist beschä
mend für einen tätigen Amerikaner, für ein freies Volk: weil von
unsern angeblichen Führern seit langem und stillschweigend fest
gesetzt worden ist, daß Architektur und Kunst ein abgeschlossenes
Buch sei, daß vor Jahrhunderten das Wort „Finis“ geschrieben
worden sei, und daß alles, was uns unfähigen Modernen bleibe, der
bescheidene Vorzug sei, zu „wählen“, „nachzuahmen“ und „anzu-