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Volltext: Alte und Moderne Kunst V (1960 / Heft 11 und 12)

 
Ursprünglich hatte die gläserne 
Wand noch einen anderen Sinn: sie 
sollte nämlich den Blick auf das 
eigentliche Tiragcgcrüst dcs Hauses 
freigeben und damit zum Ausdruck 
nem Fenster beobachten kann. 
Zum ersten Male hatte Gropius bei 
den 1911 begonnenen Fagus-Wer- 
ken in Alfeld die Glaswand einer 
Fabrik vorgelegt." Das Stützensy- 
stem ist auch hier schon nach innen 
verlegt. Besonders bemerkenswert 
ist der Verzicht auf Eckstützen; 
statt dessen gibt auch hier das Glas 
den Blick ins Innere frei und be- 
tont durch seine Leichtigkeit, daß 
diese Wand keinerlei Trageiunk- 
tion mehr besitzt. 
Es hat sich bereits ergeben, daß 
jeweils dann ein Glashaus errichtet 
wird, wenn das Innere des Hauses 
zur Schau gestellt werden soll, wo- 
bei es keine Rolle spielt, ob hier 
die Baukonstruktion oder der Ar- 
beitsvorgang sichtbar gemacht wer- 
den soll. Auf jeden Fall trägt diese 
Architektur "Ausstellungscharakter. 
Es muß demzufolge lohnend er- 
scheinen, den Ursprung des Glas- 
4 Brinkmann und van der Vlugt: Ta- 
bakfabrik in Rotterdam. 
5 Gropius: Bauhaus in Dessau. 
ß Gropius und Meyer: Fabrik in Al- 
feld. 
 
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bringen, daß die Wand selbst in der 
modernen Architektur keinerlei 
Stützfunktion mehr besitzt. Am 
deutlichsten hat Walter Gropius 
dieses Ziel im Auge gehabt. S0 ist 
der Werkstättentrakt des Dessauer 
Bauhauses von 1925[265 in diesem 
Sinne konstruiert. Über dem Sok- 
kelgeschoß ist vom ersten Stock- 
werk an eine riesige überragende 
Glaswand vor die Stahlträger mit 
den Stoekwerkböden gelegt. Das 
Glas dient offensichtlich nur dazu, 
die Konstruktion des Gebäudes wie 
in einem Schaufenster der Außen- 
welt zu zeigen. Der im Freien ste- 
hende Beschauer bekommt ungehin- 
dert Einblick in die Räume mit 
ihren Maschinen und ihren vor den 
Fenstern stehenden Heizungskör- 
pern." Der in diesen Werkstätten 
arbeitende Mensch fühlt sich dem- 
entsprechend einer Kontrolle von 
allen Seiten ausgesetzt, während er 
allerdings auch seinerseits ungehin- 
dert den Blick ins Freie schweifen 
lassen und das Geschehen vor sei- 
hauses in Ausstellungsbauten zu su- 
chen. In der Tat zeigt schon die 
Maschinenhnlle der Pariser Welt- 
ausstellung von 1889 alle Merkmale 
des Glashausesß Zudem ist sie 
ein Wunder der Wölbeteehnik des 
19. jahrhunderts, besitzt sie doch 
bei einer Länge von 427 m eine 
Spannweite von 117m. Ihre Schöp- 
fer sind der Ingenieur Contnmin 
und der Architekt Dutert. Die llalle 
besteht nur aus Stahl und Glas, wo- 
bei ein besonderer Effekt dadurch 
erzielt wird, daß die Träger sich 
nach dem Boden zu verjüngen und 
somit der Logik aller früheren Ar- 
chitektur widersprechen") Ein gran- 
dioses Gefühl des schwerelosen 
Aufsteigens vermittelt dieser Raum. 
Der Unterschied der Pariser Ma- 
schinenhallc gegenüber den vorher 
gezeigten Bauten besteht darin, dnß 
bei der Halle infolge ihrer festen 
Seitenwände der Blick nicht von 
außen hereindringen kann und daß 
stattdessen die riesige Glnsfläehe 
vornehmlich Oberlicht spendet, da- 
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