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J. T. KALMAR
ARCHITEKT — INDUSTRIE
NORM UND TYPE
Aoch nie ist soviel über Vereinfachung, Vereinheitlichung, Rationali
sierung, Typisierung und Normierung geschrieben worden, nie noch so
viel Versuche in dieser Richtung gemacht worden, wie in der letzten Zeit.
Eigene Ausschüsse beraten, planen und dekretieren, riesenhafte Anstren
gungen werden gemacht, um alle möglichen Gegenstände des täglichen
Gebrauches zu uniformieren — der Schrei einer zerfahrenen Zeit nach
Ordnung, einer disziplinlosen, zerfallenden Gesellschaft nach Zucht, die
Sehnsucht einer ungläubigen Zeit nach Religion, Und da diesseits und
jenseits der bolscbewistischen Linie die Leitidee mit dem Gold zusammen
hängt, ist Verbilligung die Losung. Um wohlfeiler produzieren zu können,
werden Investitionen gemacht, die sich nur bei ungeheuren Auflagen
rentieren können. Neuanlagen werden errichtet, die überholt sind, sobald
sic in Betrieb genommen werden, da während ihres Baues neue technische
Ideen auf tauchen.
Sicher i.st die .schlechteste Ordnung besser als gar keine. Kein vernünftiger
Mensch wird also die Notwendigkeit der Nonnierung leugnen. Was aber
ist Norm? Norm ist letzten Endes die allgemeine A)ierkennung einer Ein
heit. Damit .sind auch die Grenzen der Nonnierung gegeben. Fcstlegen
läßt sich das Maß, gleichviel ob cs sich um Zentimeter oder Ziegel, Kilo
gramm oder Dioptrieen, Walt oder Mänsecinheiten handelt. In seiner
.\nwendung auf den Gegenstand muß sich die Normierung auf unpersön
liche Bestandteile, wie Schrauben, ,\chsen, Räder, Träger, Lager, Pinm-
matiks und dergleichen beschränken. Da Norm kodifizierte Sitte ist, ist
sie ebenso wie das Gesetz nur durchführbar, solange die Sitte lebt. Nichts
gefährlicher als bestehende Normen zu verändern, nichts schwieriger als
neue einzuführen. Gelingt es, so ist der Erfolg außerordentlich. Welch
ein Segen wäre zum Beispiel eine Weltwähiung?
Ganz unfruchtbar erscheinen mir die Bestrebungen, Fertiggegenstände,
also EYrmen, normalisieren zu wollen, und derart auf künstlichem Wege
Typen zu schaffen, welche Forderung merkwürdigerweise gerade von der
Architektenschaft öfter erhoben wird. Typische EYrmeii werden. Sie sind
da, wenn das Bedürfnis nach ihnen allgemein wird und sterben mit
diesem. Das Bauernhaus verändert sich nicht, solange es Bauern gibt,
dej* vierbeinige Stuhl paßt sich nur der verschiedenen Art zu sitzen an,
die Gabel hat nur einmal im l.,aiif der .Jahrhunderte eine größere, wenn