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Volltext: Der gute billige Gegenstand

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HANS TIETZE 
ZWECKKUNST UND VOLKSTUM 
Unsere bewußten Bemühungen um Typisierung aller Gebrauchsform 
bilden emen Teil der Rationalisierung unseres Daseins. Durch Unter 
ordnung der hormgebung unter die Zweckbestimmung soll nicht nur 
die Produktion vereinfacht und der Konsum erleichtert, sondern auch 
eine Annäherung an eine Ijebensform erzielt werden, die uns als die 
schlechtweg natürliche erscheint. Die rationalisierte Form ist in dem 
Sinn natürlich, daß sie den wirtschaftlichen und geistigen Tendenzen 
unserer Zeit gemäß ist; sie ist es nicht in dem anderen Sinn, daß sie 
einem dem Menschen von Natur aus innewohnenden Trieb entspräche. 
Denn alle ursprüngliche Formengebung ist nicht einfach, sondern kom 
pliziert; nicht einem rationellen Gebrauchszweck angepaßt, sondern 
irrationelleii Bedürfnissen Rechnmig tragend. Allo Wildenkunst und alle 
Volkskunst hat diesen ,.horror vaciii“; auch wo sie der Nützliclikeit dient, 
bleibt die gefundene Form symbolbeladen; nicht in der Verwendung der 
Dinge allein, schon in ihrer Herstellung sind Werte enthalten, deren 
Abstreifung verarmt. Dieser Hang zu naturhafter Fülle bleibt auch der 
Produktion historischer Hochkulturen eingebunden. Das schwer Herzu- 
stcllende und dem Zweck nicht immer gemäße ist nicht nur wegen seiner 
Seltenheit und Kostspieligkeit das sozial Auszeichnende und höher 
Geschätzte, sondern zieht auch aus ihm einverleibten heimlichen Assozi 
ationen Gewinn. Das geschriebene Buch hat sich neben dem gedruckten 
noch lange gehalten, nicht nur, w'eil cs in seiner Einmaligkeit das voi- 
nehmere war; für Albrecht Dürer, der aus der rationalen Seite seines 
Doppelwesens selbst ein überzeugter .inhünger des neuen Stils war, 
steht theoretisch doch das Wildwuchernde spätgotischer Formengebung 
vornehmer über der von Vernunft beherrschten der Renaissance. Im 
Unnützlichen liegen für den in der Tradition Gebundenen Werte, die 
dem von ihr Losgerissenen zu Unwerten wurden. 
Diese Situation wiederholt sich immer wdeder; jeder Ausdrucksform 
wachsen durch ihr Dasein - ihr dauerndes Da-sein — Spannungen zu, 
die ihrer Lebendigkeit zugutekommen und für die mangelnde Rationalität 
mehr als entschädigen. Tradition macht den komplizierten Handgriff 
zum „natürlichen“, das überladenste Ornament zur Selbstverständlich 
keit; aus dieser Lcbonsfülle heraus wird eine .Arbeit, die von außen 
gesehen schwierig und undankbar schien, für den in ihrer Praxis Stehen 
den zu einer mühelosen Mechanik. Lokale Traditionen verdanken diesem
	        
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