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Pi'ozeß ihre breite (irundleguiig. Slowakische Keramik oder lextilkimsl,
russische Holzarchitektur wurzeln in einer gewiß auch völkisch bedingten
Handwerklichkeit, die ihre Kachahmung außerhalb dieser Bedingtheit zu
einem sinidoscn Unterfangen macht, ln ihrer natürlichen Umgebung
sind sie auch ökonomisch berechtigt.
Fragen wir nach solchen Bedingungen einer österreichischen Formen-
gebung, so verrät die historische Fnlwicklung eine nicht zu leugnende
Vorliebe für Reichtum und Üppigkeit, für ein Schwelgen im Lnnötigen
und für eine Schaustellung des Schmückenden. Alle Form spiegelt hier
die Sinnlichkeit des Menschenschlages und die f ppigkeit der Landschaft.
Daß dieses prahlerische .Ausquellen ins Maßvollere gebändigt erscheint,
wenn wir es dem stammverwandten Bayerischen verghüchen, ist volks
kundlich und historisch so wohl begründet wie die Verfeinerung des
allgemein Österreichischen im Wienerischen. Hier ist der Gegensatz
.städtischer — und noch dazu residenzstädtischer —■ Kultur zu ländlicher
maßgebend; nicht nur positiv als Geschniacksschuhmg und .Vbneigung
gegen alles Exzessive, sondern auch negativ als Loslösung von jenen
befruchtenden V erbindungen, die einer ruhenden J radition eignen. Der
Hang Wiens zn knapper Eleganz und rationaler Klarheit in manchen
Zeiten ist nicht der .Vusflnß unmittelbarer Neigung, sondern Ergebnis
zeitbedingter Strömungen, Alle kulturelle Entwicklung läßt W altenlassen
von Kräften und ihr Überwinden abwechseln: nüchterne Völker haben
ihre frohen Feste und üppig gewohnte führen von Zeit zu Zeit einen
Fastlag ein. Auch die Preußen haben in einem schwülstigen Barock
maniriert und die Franzosen ihren Hang zum anmutig Spielenden zu
ihrem Henri HL oder Louis XVI. ernüchtert.
Vucli unser Verlangen nach zweckbestimmter Einfachheit ist, wie
andere Beiträge zu diesem Heft dargelegt haben, zeitbedingt — sozial
und wirtschaftlich, .Vber kulturell wird aus solcher Not eine Tugend nur,
wenn wir den Vmrgang als innerliche Klärung und nötige Ergänzung
angestammter Art geistig begreifen. Leben heißt anders werden und sich
gleich bleiben; jeder Tag kann eine Reinigung vom gestern sein. Die
Periode „guter, billiger“ Formgebung ist eine Gelegenheit zur Selbst
besinnung; auf dem entlasteten Grund wird der alte Stamm dereinst
wieder die Möglichkeit finden, seine innersten Triebe zu entfalten.