Voraussetzung, dieses Ziel zu erreichen aber ist, die Abgründe
zwischen den Mächten des Glaubens, den fünf großen Weltreligio
nen, den Mächten des Denkens, den großen geistigen Strömungen
und den so oft differenten Lebensbildern der Gegenwart wie den
Mächten des Blutes und Bodens, den Rassen, zu überbrücken. Das
große Ideal Albert Schweitzers von der Ehrfurcht vor dem
Leben erscheint als das einigende Zentrum. Alle modernen wie
uralten Zivilisationen und Kulturen wurzeln darin wie die Reli
gionen, die ja streben, dieses Leben zu verklären und zu heiligen,
wie der Idealismus, der dieses Sein, dieses Leben vergeistigen will,
wie auch die anderen so verschiedenen Lebens- und Vorstellungs
formen. In dieser Ehrfurcht vor dem Leben, diesem elementarsten
im Erleben wurzelnden Gefühl ruhen die Menschenrechte.
Sie steigern das Leben im menschlichen Bereich zu seinem geistigen
und sittlichen Charakter. Aus dieser Achtung vor dem Leben und
allem Kreatürlichen — allen Kulturen gemeinsam — erwächst das
Streben nach Völkerverständigung und Frieden. Will man sich also
auf eine Weltanschauung einigen, die allen Völkern verbindend
wäre, so erscheint dafür der Humanismus als die entsprechende
geistige Ebene, ein Humanismus aber, der den Menschen als Einzel-,
aber auch als Gesellschaftswesen erkennt, der um die existentielle
Not und Bedrängung des Menschenwesens weiß, der die große Auf
gabe des Menschen in der vollsten schöpferischen Entfaltung der
menschlichen Natur sieht, also ein schöpferischer Humanismus, der
diese menschliche Natur als eine nach Ganzheit strebende evolutio
näre und revolutionäre Intention begreift und daher stets den
neuen Menschen fordert, der in Freiheit und Würde die Aussage
des Geistes in Raum und Zeit formt.
Die fünf großen Weltreligionen scheiden sich, geographisch un
gefähr durch die Linie des Hindukusch getrennt, in die Religionen
des ewigen Weltgesetzes (Hinduismus, Buddhismus und chinesi
scher Universismus, insgesamt 850 Millionen Menschen) von den
Religionen der geschichtlichen Gottesoffenbarung (Christentum
/10 Millionen und Islam 250 Millionen). Die vergleichende Be
trachtung der Glaübenssysteme der Weltreligionen soll nicht nur
die besondere Position des Christentums innerhalb der Weltreli
gionen zeigen, seine wahrhaft universalen Tendenzen, seine geisti
gen Zentralaspekte, sondern auch wie sich die Religionen trotz
ihrer Verschiedenheit oft tangieren und in manchem ergänzen.
„Alle Geschehnisse, die sich in den Völkern und der Menschheit
ereignen, gehen auf geistige, in der Weltanschauung gegebene Ur
sachen zurück , schreibt Albert Schweitzer in seinem Buche „Aus
meinem Lehen und Denken 1 *. Dieser Gedanke bestätigt erneut die
Notwendigkeit, die modernen Denkbilder, die großen Philosophien
der Gegenwart kennenzulernen, sind sie doch entscheidende Gei
stesmächte vor allem jener Menschen, die nicht nur im Glaubens
bild einer Religion, sondern im eigenen Denken nach einem Sinn
ringen. Überblicken wir die verschiedenen Philosophien, sei es die
Philosophie der Materie, die Philosophie der Idee, die Philosophie
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