MAK

Volltext: Günter Brus - aurore de minuit

In letzter Konsequenz litten die „Wiener Aktionis- 
ten" inmitten des möglichkeitsblinden Sumpfs 
allesamt Hunger nach Utopien; an ihnen bewahr 
heitete sich - wie die Prozesse gegen Brus, Muehl 
und Nitsch belegen dass Träume wenige, Träu 
mer hingegen viele verfolgen. Doch Brus träumt 
seinen Traum weiter vorwärts, weshalb hierorts auch 
kein Nachruf zu Lebzeiten steht, sondern ein Auf 
ruf, sich auf die ungebrochene Aktualität dieses für 
die österreichische Moderne so zentralen Künst 
lers einzulassen. Wer Brus - seines Zeichens avan 
cierter Aktionist, Buchillustrator, „Bild-Dichter", 
Zeichner, Maler, Bühnenbildner, Kostümdesigner, 
Sprachkünstler und „selten gehörter" Musiker - 
dabei in den Sammelbegriff „Wiener Aktionismus" 
einsperrt, verkürzt sein facettenreiches Schaffen, 
welches sich stets neu und stets Neues entdecken 
lässt. 
Unser Haus fühlt sich Brus und dem „Wiener Ak 
tionismus" zutiefst verbunden, wofür sowohl der 
gezeigte Werkblock als auch einige entscheiden 
de MAK-Ausstellungen Zeugnis ablegen, etwa „Ak 
tionismus -Aktionsmalerei. Wien 1960-1965", 
1989, „out of actions. Aktionismus, Body Art & 
Performance 1949-1979" und "Otto Muehl. 7", 
1998 oder „Otto Muehl. Leben, Kunst, Werk. 
Aktion, Utopie, Malereien 1960-2004" aus 2004. 
Auch inhaltlich rekurriert das Kunstverständnis des 
MAK auf die modernen Avantgarden: Kunst inter 
veniert dem MAK zufolge ins und experimentiert 
gegen das Bestehende, als Revolution in Perma 
nenz sowie Utopie in Aktion; Kunst manifestiert 
eine nie auf den Status quo vereidigte, kompro 
misslos aufs Ganze gehende Dekonstruktion gän 
giger Praxen respektive Diskurse. 
Die MAK-Ausstellung „Mitternachtsröte" präsen 
tiert nun die andere, ebenso wichtige Seite des 
Künstlers anhand noch wenig bekannter Einzelar 
beiten und „Bild-Dichtungen" aus den späten 
1970er und frühen 1980er Jahren, sozusagen den 
„postaktionistischen" Brus. Und dennoch: Brus 
bleibt Brus; auch hier taucht er seine sprachmäch- 
tige Feder in kritischen Geist. Müsste ich diese oft 
zyklischen, anspielungsreichen, symbolträchtigen, 
expressiv farbenprächtigen, exzessiv phantasti 
schen, subtil-kräftigen, ab- wie hintergründigen 
„Bild-Dichtungen" bündig charakterisieren, so be 
schriebe ich sie als „explosiv": Was Brus hier ab 
brennt, stellt ein schöpferisches Feuerwerk an Ge 
danken, Assoziationen, Gefühlen etc. dar. Seine 
genialen „Bild-Dichtungen" aus Handgeschriebe 
nem und -gezeichnetem schließen das Reale mit 
dem Imaginären kurz, verschieben die Perspekti 
ven, machen Unsichtbares sagbar, Unsagbares sicht 
bar - ein „illuminiertes" Denken und denkendes 
Sehen. 
1 Siehe seine Kolumnen bzw. Zeichnungen im Magazin 
„Datum". 
2 Andre Breton: „Zweites Manifest des Surrealismus" (1930), 
in: „Die Manifeste des Surrealismus", unveränderte Neu- 
ausg., Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 
1990, S. 60. 
3 Aktion „Kunst und Revolution", Universität Wien, 1968.
	        
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