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moderne praktische Verwendung gewonnen und dadurch wahr
haft wiederbelebt. Niemand denkt dabei wie deutsche Fabri
kanten, dass es nüthig sei, zugleich die undurchsichtigen schwar
zen und rothen Töne der antiken Thongefässe zu Stande zu
bringen oder gar die figürlichen Vasenmalereien in Farben
aufzutragen. Ueber solche sclavische Nachahmung, die doch
nichts weiter als Spielerei ist, zeigt sich die englische Fabri-
cation hinaus. Der feine und geschmackvolle Formensinn gibt
sich aber nicht blos in der Verwendung der antiken Gefässe
kund; er bethätigt sich auch dort, wo solche Vorbilder nicht
vorhanden sind oder sich nicht gebrauchen lassen, nämlich bei
den Trinkgefässen, insbesondere den Weingläsern. Hiefur findet
sich das Muster im mittelalterlichen Pokal und im sogenannten
Römer, deren Grundform (denn sie ist eine und dieselbe) in
einer eben so reichen und mannigfachen, wie zierlichen und
eleganten Weise variirt wird. Der Beschauer erhält dabei den
Eindruck, als ob das Gefühl für die Form, welches der moder
nen Industrie bis heute verloren gegangen, wieder gefunden sei.
Man sieht diesen Stengelgläsern an, warum sie gerade so und
nicht anders gemacht sind.
Ein anderes Element der Ornamentation, welches die eng
lische Industrie bei dem Krystallglas mit bewusster Kunst zur
Anwendung bringt, ist die prismatische oder diamantirte Schlei
fung der Oberfläche. Ihr Ziel ist dabei ein reiches Farbenspiel
und sie erreicht es in wunderbar glücklicher und effectvoller
Weise. Facettirte Köpfe von Stöpseln strahlten ein Brillant
farbenfeuer aus wie eben so grosse Diamanten. Es ist aber
dasselbe künstlerische Princip auch auf die ganzen Gefässe zur
Anwendung gebracht. Flaschen wie Trinkgläser und Giessge-
fässe sind mit der prismatischen Schleifung bedeckt und geben
so, wenn nicht immer in Farben strahlend, doch ein überaus
reiches Spiel des Lichts und der tausendfältigen Reflexe.
Nicht minder angemessen behandelt ist das geschliffene
oder geätzte farblose Ornament. Als Muster gilt hier für die
Zeichnung meistens das zierliche Ornament der griechischen Ge
fässe oder die Laubwindungen der Renaissance. Die englische
Fabrication sucht es aber nicht in Farben wiederzugeben, wie
man das in den letzten Jahren noch vielfach an gräcisirten Glas-
gefässen gesehen hat, sondern sie hält sich an die Eigenthüm-
lichkeit des Krystallglases und schleift sie nach dem Muster
der Krystallgefässe des 16. Jahrhunderts und der späteren böh
mischen Gläser des 18. Jahrhunderts farblos hinein. Dabei ist
die Ausführung eben so genau und sorgfältig, wie die Zeichnung
fein und reizend. Das gilt auch von dem freieren, oft fast