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Volltext: Die Stickerei und die Spitzen (Gruppe V, Section 8) - Officieller Ausstellungs-Bericht

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Dr. Ferdinand Stamm. 
Ornamentik in England zu verbreiten luchten; allein es gefchah und gefchieht in 
unverantwortlicher Weife das Gegentheil, wie die Engländer , in ihrer Ausftel- 
lung 1873 vielleicht unwillkürlich verrathen haben. 
Anftatt die fchönen, echten Farben, wie lie die Indier zu bereiten willen, 
in die engiifche Färberei einzufiihren und den englifchen Stoffen dadurch einen 
höheren, immer geltenden Werth zu verfchaffen, führen fie die Eintagsfarbe, die 
dem Renommee der Textilinduftrie im Allgemeinen gefährlichen Anilinfarben, nach 
Indien ein und laffen die kunftfertigen Gewebe und Stickereien damit verderben; 
anftatt die guten Mufter und das indifche Ornament in England einzuführen, laffen 
fie in IndienStoffe mit fchottifchen Müllern weben, langweilige Viereckmufter, Grau 
in Grau oder in fehlerhaften Farben-Zufammenftellungen. 
Die Aufteilungen von Perfien und der Türkei ergänzen die Kunft- 
induflrie der Stickerei des Orientes in der gefälligften Weife. Die perfifchen 
Stickereien geben durch Technik, Zeichnung und Farbenpracht Zeugnifs, dafs 
diefe Kunftinduftrie aus der Blüthezeit des Volkes in lang vergangenen Jahr 
hunderten noch erhalten ift, wenn auch in den befcheidenen Grenzen der Haus- 
induftrie, während fie einft einen reichen Ausfuhrartikel bildete. 
Auch unter den verfchiedenen Völkern, welche das türkifche Reich ver 
einigt, hat die Kunftinduftrie der Stickerei aus der Blütheperiode der Vorherrfchaft 
der Muhamedaner fich vererbt, wie die zahlreich ausgeftellten Proben der 
türkifchen Abtheilung zeigen. 
Ueberblicken wir den ganzen Orient, fo bemerken wir bei den verfchieden- 
artigen Stilarten der Ornamente der Chinefen, Indier, Perfer, Araber und Mauren 
doch eine Gleichartigkeit der Farbenharmonie, die fich in ihrer Buntftickerei zu 
erkennen gibt. Die farbige Stickerei herrfcht vor zum Unterfchiede des 
Abendlandes, bei deffen Völkern die Weifsftickerei vorherrfcht und die Zeichnung 
zur Hauptfache wird. 
Das gefammte Abendland hat feine Kunftbildung aus Griechenland 
empfangen. Die kunftfinnigen Hellenen wurden vertrieben und vernichtet, andere 
Völker fetzten fich im Lande feil, die von der griechifchen Kunftblüthe abgetrennt 
waren. Die Stickereien aus Griechenland, welche in der Weltausftellung 1873 
zur Anfchauung kamen, find in morgenländifchen Stilarten wie die der Türken 
gehalten. Wir müffen in Italien die hellenifche Kunftrichtung und den 
griechifchen Stil auffuchen und wir finden ihn auch in allen Fächern der Kunft 
induftrie. Die Ausftellung der Frauenarbeiten und Schulen aus Italien und nament 
lich die Stickereien von dort bieten einen fchönen Beleg dafür. Diefe Ausftellung 
gehörte zu den fchönften aller Völker und zeugte von der bedeutenden Höhe der 
Kunftbildung, welche nicht nur unter den Männern, fondern auch unter den Frauen 
in Italien verbreitet ift. 
Es waren vorzügliche Goldftickereien und Buntftickereien darunter, welche 
den guten Gefchmack in der Farben-Zufammenftellung zeigen; noch vorzüglicher 
waren aber die Stickereien Weifs auf Weifs oder Schwarz auf Weifs, wo die 
Zeichnung und die Schattirung allein wirken mufs. Mehrere Ausftellerinen, 
Meifterinen mit der Nadel, hatten fich verfucht, mit dem Zeichenftift und der Zeichen 
feder des Künftlers zu wetteifern und haben mit fchwarzer offener Seide auf weifsem 
Atlas geflickte Bilder angefertigt, welche für feine Kupferftiche gehalten werden 
können. 
Andere haben in den eigentlichen Grenzen der einfarbigen Stickerei die 
Zeichnungen Weifs auf Weifs ausgeführt und grofse Wirkung damit erzielt. Die 
Schönheit der Ornamentzeichnung im Renaiffanceftile, die Feinheit und Reinheit 
der Ausführung in den zarteften Linien ift gleich bewunderungswürdig. 
Noch Andere haben die weifse Zeichnung auf gleichem Grunde gehoben 
nach Art eines Reliefs in Holz oder Metall. Es ift das nicht ohne Gefahr einer 
Uebertreibung und Verzerrung, befonders wenn die Zeichnung in grofsem Mafsftabe 
angelegt wird, weil dann die Hochrelief-Stickerei plump und widerlich erfcheint.
	        
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