Die Stickerei und die Spitzen.
n
Um aber den Stil zu beurtheilen und darnach die Zeichnung zu entwerfen
oder auch nur nach Vorlagen auszuwählen, mufs fich die Frau eine allgemeine
Kunftbildung erwerben oder den Rath eines ICunfterfahrenen einholen.
Es ift das für eine Frau nothwendiger und koftet weniger Mühe als etwa
die Erlernung des Clavierfpiels, auf welche fie mehrere Jahre zu verwenden kein
Bedenken trägt.
Die Aufteilungen der Frauenarbeiten in der italienifchen, fchwedifchen und
befonders die Dilettantenarbeiten in der öfterreichifchen Abtheilung hatten, von
einer Kritik des Einzelnen ganz abgefehen, den grofsen Werth, dafs fie das eifrige
Streben und den ernften Willen der Frauen zeigten, das angeborene künftlerifche
Talent wieder auf einem dem Frauenberufe würdigen Kunftgebiete geltend zu
machen, und einen bienenartigen Fleifs verrathen haben, den fie auf Werke ver
wenden’, die den Frauen der Vorzeit hohen Ruhm eingetragen und auch denFrauen
der Jetztzeit den Lorbeer der Kunftfertigkeit winkend entgegen halten. Die
Mittel dazu find für die heranwachfendenMädchen die verbefferten Arbeitsfchulen
und für die Frauen die in den Mufeen für Kunft und Induftrie wieder aufgefchlof-
fenen Fundgruben der alten Kunft. *)
Der abgeriffene Faden mufs wieder angeknüpft werden. Das Vereinswefen
ift die neue Form gemeinfamer Arbeiten. So mögen fich Frauenvereine bilden zur
Hebung der Kunftinduftrie der Frauen durch Unterricht in der Technik und durch
Verbreitung guter Mufter und Vorlagen.
Die Mafchinenftickerei.
In den meiften Staaten des Abendlandes, befonders in Oefterreich, Deutfch-
land, Frankreich, England und der Schweiz hat fich neben der Hausarbeit ein
befonderes Näherei- und Stickereigewerbe herausgebildet, das in einzelnen Gegen
den von Frankreich, in der Schweiz und in Oefterreich zu einem Fabricationszweig
erweitert ift mit ausgeführter Arbeitstheilung. Ein Unternehmer vertheilt den Stoff
und die Stickmufter an einzelne Arbeiterinen und vertreibt die erzeugte Waare im
Handel. Wie bei anderen Fabricationszweigen, z. B. bei der Uhrmacherei, arbeitet
dann einMädchen ein und dasfelbe Mufter auf einem fchmalen Streifen Jahre lang.
Es lag nun nahe, diefe leichte, einförmige Arbeit durch eine Mafchine aus
führen zu laffen und die Stickmafchine wurde erfunden und in Verwendung genom
men, wie fie in der Ausftellung 1873 viel Auffehen erregte.
Die Mafchine befteht aus einem grofsen, fenkrecht geftellten Rahmen, in
welchem der Stoff ausgefpannt ift, auf welchem die Stickerei nach einem beftimmten
Mufter wohl hundert und mehr Mal zugleich ausgeführt werden foll. Zu diefem Zwecke
fteht auf beiden Seiten des Rahmens ein bewegliches Geftell, das eine lange Reihe
von Zangen trägt. Das Geftell kann auf Rollen vorwärts gegen den aufgefpannten
Stoff und wieder zurück geführt werden, wobei fich die Zangen zugleich öffnen
ml d wieder fchliefsen. Einer Zange diefsfeits des aufgefpannten Stoffes fleht immer
eine Zange auf der anderen Seite genau gegenüber.
Dazu kommt eine Nadel, die auf beiden Seiten zugefpitzt ift und in der
Mitte das Oehr für den Faden hat. Die eingefädelten Nadeln werden mit dem
einen fpitzigen Ende in die Zangen der einen Seite gefleckt, und nun beginnt das
Spiel des Mechanismus. Die Zangenreihe bewegt die Nadeln gerade gegen den
Stoff und flicht fie mit dem anderen fpitzigen Ende durch. In diefem Momente
flehen auf der anderen Seite die offenen Zangen, bereit die durchgefteckte Nadel
am anderen Ende zu faffen und mit dem Faden durchzuziehen.
Durch einen Mechanismus, den der Arbeiter leitet, werden die durch
gezogenen Nadeln etwas verrückt, um an einer neuen Stelle, wie es die Zeichnung
verlangt, von den Zangen, welche jetzt die Nadeln halten, wieder durchgeftochen
*) siehe: Die Frauenarbeiten von Helene Freiin v. Roditzby.