Das bürgerliche Wohnhaus.
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„Das Wohnlichmachen, fagt diefes Programm, wird in zweifacher Richtung
«rfpriefslich wirken. Wenn die bisherigen Weltausftellungen neuen, für das Haus
beftimmten Erfindungen oder Einrichtungen nicht in dem erwünfchten Mafse
Verbreitung verfchaffen, fo lag diefs wohl wefentlich mit daran, dafs man diefe
Gegenftände, je nach dem Materiale oder der Eabricationsweife, vereinzelt und
verftreut zur Anfchauung brachte, nicht aber in ihrer richtigen Verbindung und
Anwendung.“
In Wirklichkeit war nun Alles auf der Wiener Ausftellung gerade fo. Von
dem, was die Generaldirecftion wollte und was fehr fchön gefagt und gedacht war,
dafs „die Wohnräume, Küche, Keller u. f. w. mit Berückfichtigung aller Bedürf-
niffe des bürgerlichen Haushaltes und aller bewährten Einrichtungen als ein Ganzes
und zur fofortigen Benützung fich geeignet darftellen und fo demBefucher ein Bild
vorführen füllten, wie es in gleicher Vollftändigkeit und Deutlichkeit auf anderem
Wege nicht zu erreichen ifl und wie es die Einbildungskraft nie hervorbringen
kann“ von alledem war in der ganzen Ausftellung nichts zu fehen. Ja nicht ein
mal die Gewerbetreibenden, welche die Decoration des inneren Haufes zum
Gegenftände ihrer Arbeit haben, wollten „das geeignete Terrain zur Bethätigung
ihrer Leiftungsfähigkeit“ in gemeinfamem Zufammenwirken bebauen, fondern
zogen es vor, allenthalben mit ihrer höchft eigenen Perfönlichkeit und Leiftung
in den bezüglichen Gruppen zu glänzen oder zu verfchwinden.
Und doch hat die Generaldiredtion vollftändig Recht, wenn fie fagt: „Wer
fich gegenwärtig hält, dafs der Begriff der Wohnlichkeit aufser der Zweckmäfsig-
keit auch Schönheit, mit diefer Harmonie aller Theile verlangt, wird nicht beftrei-
ten, dafs ein vereintes Schaffen vom Standpunkte des Publicums wie von dem der
Gewerbetreibenden wünfchenswerth erfcheint.“
Es ift nach diefer Ueberficht des Programmes und der Erfüllung desfelben
auf der Weltausftellung eigentlich in gar nichts die Abficht der Gruppe XIX durch
geführt worden. Und doch ift, wie das Programm gleichfalls fehr fcharf hervor
hebt, die angeregte Frage von der weitgreifendften Wichtigkeit. „Wohl bei den
meiden Völkern ift das bürgerliche Wohnhaus in der Entwicklung zurückgeblie
ben. Die Wandlungen in unferem gefellfchaftlichen Leben, die Verkehrsverhält-
niffe der Neuzeit, noch mehr aber die Steigerung der Bodenpreife haben den Be-
ftand des alten Bürgerhaufes felbft in kleineren Städten nahezu unmöglich ge
macht .... Unter dem Einflüße der den modernen Verkehr beftimmenden Ele
mente fehen wir die Landplage der Miethkafernen immer mehr um fich greifen
und als leider unvermeidliche Folge des Zufammenwohnens Vieler auf engem
Raume und des hiedurch gelockerten Familienlebens eine Reihe von für Gefund-
heit und Sittlichkeit nachtheiligen Wirkungen fich entwickeln.“
Es ift bei diefer klaren Erkenntnifs eben nur die Frage, wie denn die ganze
Anregung, dieBeftrebungen zu zeigen, „dasFamilienhaus in neuen, den modernen
Verhältniffen angepafsten Formen wieder ins Leben zu rufen“, mit ganz wenig
Ausnahmen fo unbeachtet und fpurlos vorübergehen konnte. Es ift dabei unzwei
felhaft wahr, dafs die Gruppeneintheilung der Wiener Weltausftellung der Durch
führung der Gruppe XIX grofse Schwierigkeiten entgegenftellte. Sie wird in
Betreff der inneren Einrichtung des Wohnhaufes faft durch alle anderen Gruppen
durchkreuzt, betreffs ihrer Gefammterfcheinung durch Gruppe XVIII, Bau und
Civilingenieurwefen, ebenfo wie durch Gruppe XX, das Bauernhaus, vielfach zer-
riffen. Stellt doch der amtliche Katalog das Vorarlberger Bauernhaus unter das
bürgerliche Wohnhaus und hat die Jury in ihrer unglaublichen Unklarheit diefes
ebenfo wie den Palaft des Vicekönigs von Egypten als bürgerliche Wohnhäufer
beurtheilt und ausgezeichnet. Aufserdem hat fie vor Allem Tifchler und Möbel
fabrikanten und die 12 Firmen, welche die Ausfchmückung und Einrichtung des
Pavillons der franzöfifchen Commiffion geliefert hatten, als Ausfteller in Gruppe
XIX prämiirt. Aber diefe Erfcheinungen entfcheiden keineswegs noch ganz über