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Volltext: Der Blinden- und Taubstummen-Unterricht (Theilbericht der Gruppe XXVI), officieller Ausstellungs-Bericht

Eduard Kaltner. 
Jeder Zögling, ob männlich oder weiblich, lerne irgend eine Arbeit* 
wozu er Talent befitzt und wodurch er lieh feinen Unterhalt verfchaffen kann. 
Er lerne eine Arbeit, die er felbflftändig, alfo ohne Mithilfe von Sehen 
den, vollftändig ausführen kann. 
Er lerne eine folche Arbeit, für welche er den nöthigen Abfatz findet. 
Er lerne eine Arbeit, zu welcher ihm auch die nöthigen Geldmittel 
nicht fehlen oder wozu fie ihm leicht zur Verfügung geflellt werden können. 
Wir kommen auf einzelne Punkte noch bei unferen Mittheilungen über den 
Blindenlehrer-Congrefs zu fprechen. 
Selbflverftändlich ifl, dafs die localen Verhältniffe wohl berückfichtigt 
werden müffen. 
Wenn wir nun die einzelnen Räume, in welchen Arbeiten von Blinden oder 
Taubflummen in der Wiener Weltausflellung zu finden waren, durchfchritten, fo 
ftand hier obenan das k. k. Blindeninftitut von Wien. Allerdings mag 
hiezu noch beigetragen haben, dafs eben die Ausftellung in Wien war, und es 
daher dem Wiener Inflitute leichter möglich war, fich vollftändiger an der Aus 
flellung zu betheiligen. 
Von den Arbeiten blinder Mädchen im Alter von 12 bis 18 Jahren gaben 
die vorliegenden Stickereien, die von grober Wolle bis zur feinften und zum fein- 
flen Zwirne reichten, den vollfländigen Beweis, dafs bei Fleifs und Ausdauer und 
bei zweckmäfsiger Anleitung alle Schwierigkeiten zu überwinden find. Einzelne 
Arbeiten waren fo fchön, dafs fie auch von Sehenden nicht beffer fein könnten. 
Wir fanden hier Arbeiten der verfchiedenften Unterrichtsflufen, vom Strumpfbande 
bis zum Häubchen, Jäckchen und Umhängtuche. 
Einige aufgelegte Häkel- und Netzarbeiten zeigten, dafs auch in diefem 
Fache mit Mühe und Fleifs gearbeitet wurde, ja felbft Näharbeiten fehlten nicht. 
Die Arbeiten der männlichen Blinden gleichen Alters (von 12 bis 18 Jahren) 
erftreckten fich auf Korbflechterei, Drechsler- und Bürflenbinder-Arbeiten. 
Diefe Arbeiten waren ganz hübfeh hergeftellt und fanden durch thatkräf- 
tige Vermittlung des Hauptlehrers und Rechnungsführer Glötzl reichen Abfatz. 
Es lagen nahe an 200 verfchiedene Arbeiten der männlichen Zöglinge des 
Wiener Blindeninflitutes auf. 
Für manche Arbeiten der Blinden werden einzelne Beftandtheile von 
Sehenden geliefert, fo Vergoldungen, Lackarbeiten. Nebft den bereits genannten 
Drechsler-, Korbflechter- und Bürflenbinder-Arbeiten wird im Wiener Inflitute 
auch Tifchlerei und Schuhmacherei getrieben und eben ifl die Diredlion daran, 
eine Seilerwerkflätte einzurichten. 
Mit weifer Vorficht wird hier den Blinden jene Profeffion gelehrt, welche 
ihnen ihren Lebensunterhalt möglich macht und welche fie allein, ohne Beihilfe 
von Sehenden betreiben können, oder welche fie als Gehilfen bei ihren Angehöri 
gen ausüben können. 
Sind die blinden Zöglinge erwachfen und fo weit gebracht, als es das Ziel 
des Blindeninflitutes vorfchreibt, fo werden diefelben ihren Familien zurück 
gegeben oder fie treten in die Verforgungsanflalt für erwachfene Blinde über. 
Diefe Anftalt ifl jedoch nicht eine Verforgungsanflalt gewöhnlicher Art, fondern 
fie bildet gleichfam eine Fortfetzung des Blinden-Erziehungsinflitutes. 
Auch diefe Anftalt hatte fich bei der Ausflellung betheiligt, und den Beweis 
geliefert, dafs Talent und Fleifs eine Macht bilden, die felbft das Auge, ein fo 
unfehätzbares Gut, entbehrlich macht. 
So fanden wir unter den vielen Holz-Schnitzarbeiten eine Arbeit des 
erwachfenen Blinden Jofef K1 e i nh an s aus Nauders in Tirol, die, wenn fie auch 
kein vollendetes Kunflwerk ifl, dennoch Staunen erregt. Es ifl diefe Arbeit ein 
Chriflus am Kreuze. 
Als Unterrichtsmittel zur Kenntnifs der inneren Conflruclion eines Claviers, 
befonders für blinde Clavierftimmer fanden wir unter den Ausflellungsgegenflän-
	        
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