Leder.
11
Welche bedeutende Rolle das Hemlockleder im vergangenen Jahre
fpielte, kann man daraus erkennen, dafs gegen Ende des Jahres 1871 in Liverpool
ein Stock von 300.000 Hälften beftand, zu dem im Laufe des Jahres 1872 noch circa
600.000 Hälften importirt wurden und trotzdem waren Ende 1872 die Lager
in Liverpool zur Gänze geräumt, alfo im Jahre 1872 an 900.000 Hälften verkauft.
Durch das liebenswürdige Entgegenkommen des kaiferlich brafilianifchen
Ausftellungscommiffärs Herrn von S al danha kam mir das vorzügliche Werk des
Herrn Joaquim Manoel de Macedo, Notions de Choreographie du Brefil zu,
welchem ich entnehme, dafs im Finanzjahre 1870 und 1871, nämlich vom 1. Juli
1870 bis 30. Juni 1871 die Exportation von Brafilien in rohen Häuten betrug
12,442.007 Kilo in gefalzenen Häuten und 9,021.440 Kilo in getrockneten.
Diefe Ziffern kennzeichnen am betten die Wichtigkeit diefes mit allen
Naturprodukten reich gefegneten Landes für die Lederinduftrie.
Nach den freundlichen Erläuterungen des Herrn von Saldanha ift es
befonders die Provinz Minasde Geraes im Innern des Landes, wo die Viehzucht
am meiften blüht. —
Indem wir hier unferen Bericht über die Sohl- und Vacheleder-Gerberei,
foweit felbe auf der Wiener Weltausftellung vertreten war, fchliefsen, können wir
nur unfer Bedauern darüber ausfprechen, dafs wir gar kein ftatiftifches Material
haben, die Zahl der Häute, die Europa diefer Induftrie liefert, auch nur
annäherungsweife anzudeuten. Wir fügen defshalb eine Tabelle II Uber den Ver
kehr in rohen überfeeifchen Häuten, die in den Haupthäfen Nordeuropas 1872
eingeführt wurden, bei. Wenn wir bedenken, welche coloffale Maffe von Horn
vieh nur in den Städten Europas gefchlachtet wird, wo zumeift fchwerere
Häute fallen, die zu Oberleder nicht geeignet find, welche alfo alle diefem
Zwecke zugeführt werden, fo kommt eine fo riefige Ziffer heraus, dafs die
Bedeutung der Sohlleder-Fabrication in nationalökonomifcher Beziehung erft ins
rechte Licht tritt.
Wir kommen nun zu dem zweiten Theil unferer Aufgabe, zu dem Berichte
über zugerichtete, gefärbte und lackirte Leder.
Bevor wir diefelbe erfüllen, erlauben wir uns einen kurzen Ueberblick über
(Anilin-) Steinkohlentheer-Farben und deren Verwendung in der Lederfärberei ein-
zufchalten.
Die Fabricationsweifen der verfchiedenen Lederforten find in dem vor
züglichen Berichte des Herrn Carl Denningerin Mainz über die Londoner
Weltausftellung vom Jahre 1851 ausführlich befchrieben, und die Färberei mit
Theerfarben ift die einzige principielle Neuerung feit jener Zeit.
Was nun die Darftellung diefer Farben anbelangt, fo werden fie hauptfäch-
lich aus drei im Theer enthaltenen Körpern gewonnen, nämlich aus dem Benzol
C 6 H 6 , dem Naphtalin C 10 H 8 und der Carbolfäure C 6 II 6 0.
Während man aus der Carbolfäure direkt Farben erzeugen kann, mufs man
das Benzol erft in Anilin C 6 H,N, das Naphtalin in Naphtylamin C 10 H 9 N
umwandeln, um es zu diefem Zwecke verwenden zu können. Diefes gefchieht bei
beiden Körpern in der Weife, dafs man fie durch die Einwirkung der Salpeter-
fäure erft in Nitrobenzol und Nitronaphtalin, und diefe wieder durch die Einwir
kung von Wafferftoff in statu nascendi in Anilin und Naphtylamin umwandelt.
Die für die Lederfärberei wichtigften Farbftoffe find die Farben aus der
Carbolfäure: die Pikrinfäure, das Corallin und die unter den Namen des Phenyl
braun bekannten braunen Farbftoffe. Zweitens die Anilinfarben, zu denen die ver
fchiedenen Sorten des Anilinroth, Anilinviolet, Anilinblau und Anilingrün zählen,
welche je nach ihrer Darftellung und chemifchen Conftitution nicht nur ver-
fchiedene Nuancirungen erzielen laffen, fondern auch durch verfchiedene Löslich-
keitsverhältniffe fich charakterifiren. Drittens gehören hieher die fogenannt'en