Conrad Grefe. Lithographie und Chromographie.
11
machten, fcharf und rückhaltslos hervorgehoben und als dem eigentlichen Zwecke
der Ausheilung im hohen Grade hinderlich bezeichnet wurden.
Bevor wir nun, an die Prüfung der einzelnen Abtheilungen gehen und ver-
fuchen, aus diefen vielfach zerfplitterten Objeblen eine Skizze des Gefammtbildes
von dem gegenwärtigen Stande der Lithographie zu conftruiren, wollen wir uns
die Aufgabe, welche diefer Kunftzweig im Ganzen und fpeciell die Chromolitho
graphie bei ihrer jetzigen technifchen Ausbildung auszuführen berufen und in der
Lage ift, ins Gedächtnifs rufen, und die Mittel prüfen, über welche fie bei
Erfüllung derfelben verfügt.
Mit den Gefammtnamen „Lithographie“ wird eine weit auseinander
gehende Gruppe von künftlerifchen und technifchen Arbeiten bezeichnet, die, bei
der einfachften Schriftzeichnung beginnend, bis zur vollftändigen Wiedergabe der
gröfsten Meifterwerke der Malerei, und zwar fowohl in Form als Farbe reicht; zu
jener genügt ein tüchtig gefchulter Zeichner oder Kalligraph — diefe bedarf
gereiftes künftlerifches Verftändnifs — eine im Zeichnen fehr ausgebildete Hand
und eine genaue Kenntnifs der Farbentöne und ihrer Zufammenfetzung aus den
einzelnen Grundfarben.
Das Gefammtgebiet der Lithographie ift in den letzten Jahren emfig und
mit grofsem Erfolge bebaut worden und insbefondere jener Zweig, der im
gewöhnlichen Leben „Farbendruck“ genannt wird, erfreute fich einer höchft forg-
famen Pflege, einer fehr ausgiebigenProdudlion und einer weitreichenden Beliebt
heit; der Grund dazu ift wohl in dem Umftande zu fliehen, dafs die Farbenlitho-
grap'hie nicht wie der Kupferftich und die Photographie blofs die Form der
Gegenftände und ihre Erfcheinung in Licht und Schatten, fondern nebft diefer
auch ihre ganze Farbenwirkung, ja felbft die Eigenthümlichkeiten der Pinfel
führung und das Impafto des Farbenauftrages mit unbedingter Treue wieder
zugeben im Stande ift. Sie macht es bei der verhältnifsmäfsig grofsen Billigkeit
ihrer Erzeugniffe jedem Haufe und jeder Familie möglich, Auge und Gemüth an
dem Anblicke genauer Imitationen der beften Kunftwerke, die oft von den
Originalen kaum unterfcheidbar find, zu erfreuen und zu bilden; fie fetzt die
Wiffenfchaft in die Lage, ihre Werke mit den beften und fprechendften Illuftrationen
zu erläutern; fie fchafft der Kunftinduftrie genaue Nachbildungen all’ jener
Schätze, welche die Mufeen aufgehäuft haben, und ift endlich eine treue Ver
blindete der modernen Schule, indem fie den Anfchauungsunterricht mit einer
unerfchöpflichen Fülle von vorzüglichen und billigen Vorlagen verlieht.
Manch’ aufmerkfamer Beobachter der Weltausftellung wird uns vielleicht
einwenden, dafs fehr viele von den ausgeftellten lithographifchen Arbeiten diefem
Programme nicht entfprachen; er wird auf die flüchtige, fabriksmäfsige Erzeugung
unbedeutender „Möbelbilder“ und noch auf vieles andere Mangelhafte und Ober
flächliche hindeuten und daraus den Schlufs ziehen, dafs auch die Farbenlitho
graphie ftatt zur Vertiefung und Veredlung, nur zur Verflachung des geiftigen und
fpeciell des Kunftlebens führt.
Allein, obgleich uns gewifs fo gut als irgend Jemandem diefe Mängel ins
Auge fielen, und obgleich wir vielleicht noch einige weitere Klagen beizufügen
hätten, können wir doch unferen Ausfpruch, dafs die Lithographie und fpeciell
die Chromolithographie eine grofse und fchöne Aufgabe zu erfüllen berufen ift
und auch zum grofsen Theile fchon erfüllt, nicht zurücknehmen. Es wird auch
in diefem Kunftzweige fo gehen, wie im ganzen Kunftleben überhaupt: das Mittel-
mäfsige, Unreife und Schlechte wird zurückgedrängt werden und immer weniger
Beachtung finden. — Das Publicum wird allmälig unterfcheiden lernen und
nur mehr das Gute und Gediegene kaufen und die Verleger fowie die Eigen-
thümer der lithographifchen Anftalten werden die Ueberzeugung gewinnen, dafs
für die höheren Kunftzwecke die Unterftützung gediegener Künftler fowie eines the o-
retifch und praktifch forgfältig gefchulten Druckerperfonales unerläfslichift.