Der Zeichen- und Kunftunterricht.
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bis zur höchftmöglichen Vollendung anzuftreben, und zugleich die Anwendung
der Kunft auf die Gewerbe und dadurch die Veredlung der letzteren fich zum
Ziele zu fetzen.
Der Unterricht beginnt mit dem Ornamentenzeichnen nach plaftifchen
Modellen und hat der Schüler, nach corredter Wiedergabe der Conturen, die
ebenfo wichtige innere Bewegung der Formen zu ftudiren. Das Modelliren im
Ornamente gefchieht meift nach Zeichnungen mit theilweifer Benützung alter
Vorbilder und das für das Induftrielle fo nothwendige Uebertragen vom Graphi-
fchen ins Plaftifche zu lernen.
Für die Uebung in der Holz- und Metalltechnik werden an der Anftalt
fowohl Holzfchnitzerei- als Cifelirarbeiten gefertigt, die entweder als Modelle in
die Werkftätten der Gewerbetreibenden übergehen oder diredl für kirchliche
oder profane Zwecke verwendet werden.
In der Architektur führt das conftrudlive Zeichnen nach antiken, gothifchen
und Renaiffancemuftern zu felbftftändigen Entwürfen baulicher und baugewerk-
licher Gegenftände und der Anwendung der Architektur auf die Ausftattung kunft -
gewerblicher Objedte.
Im figuralen Fache folgt nach der Antike das Naturftudium im Porträt
und dem Adle — fowohl im Zeichnen als im Modelliren. Damit ftehen auch die
Uebungen im Malen in Verbindung.
Das Inftitut pflegt auch den das Kunftgewerbe fördernden Zweck, unter
Leitung der einzelnen Lehrer von den Schülern gröfsere plaftifche oder bildliche
Gegenftände zu gewerblichen Zwecken auf Beftellung auszuführen, fo auch rein
künftlerifche Aufgaben in derfelben Weife zu löfen. Die Anftalt bildet fonach
durch diefe aus der Erfahrung hervorgegangene Einrichtung, was der deutfchen
Induftrie vielfach mangelt und was an der Spitze diefes Auffatzes betont wurde,
eine Brücke zwifchen der Kunft und dem Kunftgewerbe. Die Organifation der
Nürnberger Kunftfchule, fo wie wir fie hier flüchtig gefchildert haben, läfst mit
ihren Ergänzungen der kunftwiffenfchaftlichen und anatomifchen Vorträge, der
Zuhilfenahme verfchiedener Vervielfältigungsmittel für ihre Produdlionen etc.
gewifs keinen Wunfch übrig; es handelt fleh nur darum, wie die Richtung der
Schule (in Bezug auf Stil) fleh zu der allgemeinen Strömung der Zeit verhält und
welche Rolle fie in diefer Beziehung in der Gegenwart und für dienächfte Zukunft
für die deutfehe Induftrie fpielt. Wir berühren damit freilich eine Frage von viel
allgemeinerer Bedeutung, nämlich: was fpielt die Gothik heute mehr für eine
Rolle im Baulichen und Induftriellen überhaupt?
Wer das alte Nürnberg durchwandert, wird es begreiflich finden, dafs in
Mitten der lebendigften Traditionen des Mittelalters, unter den fchönften Blüthen
der deutfchen Kunft in einer Kunftfchule dafelbft diefe Elemente noch foitleben
muffen, felbft wenn anderwärts die Zeit längft der Kunft ein neues Gewand
gefchaffen und der in fteter Entwicklung wandelnde Gefchmack fich in reichen
Veränderungen erging. Seitdem die moderne Kunft vorzugsweife durch die Vor
bilder der italienifchenRenaiflance wieder zurNatur zurückkam und die dichtende
Phantafie ihre reinften Quellen wieder erkannte, verlor die Gothik das Gebiet
der Profankunft gänzlich; fie lenkte fpeciell zum Kirchlichen hin, in welchem
fie fich ja in der Vergangenheit in den grofsartigften Schöpfungen entfaltet hatte.
Hier allein wird fie auch noch ihr Fortkommen finden, fowohl im Baulichen als
im Kunftgewerklichen. — Die Nürnberger Kunftfchule, die ehedem vorwiegend
die Gothik pflegte, hat nun wohl, von der Zeit gedrängt, nach und nach die
deutfehe und auch die italienifche Renaiffance aufgenommen. Die heiteren For
men des Südens neben den ftrengen, markigen des Nordens 1 — Die verfchiedenen
Elemente berühren fich, aber vereinigen fich nicht zu neuer Fruchtbarkeit. So
achtenswerth die Leiftungen der Schule nach den verfchiedenen Richtungen hin
genannt werden müffen, fo war daraus doch nur zu erkennen, dafs in diefem Nach
ahmen des Hergebrachten auch ihr Erreichtes liegt. Es fehlen die pulfirenden